M. VITRUVIUS P. BAUKUNST.
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zu derselben hin. Indem er nun also, nach der Sonnenscheibe hin-
gerichtet, über sich schaue, so sey dessen untere, lichtlose Hälfte,
wegen der Ähnlichkeit mit der Luft, unsichtbar; weil, da er senk¬
recht unter den Sonnenstrahlen stehe, alles Licht sich bloss auf die
obere Halbkugel einschränke. Diefs nenne man Neumond — luna
prima.— Entferne er sich wieder von der Sonne gegen Morgen,
so verliere sich allgemach die Wirkung derselben, und er fange an
den alleräufsersten Theil seiner hellen Seite, gleich einer höchst fei¬
nen Linie, der Erde zu zeigen; alsdann heisse er der zweyte
Mond — luna secunda — und, bey täglich je weiter fortgehender
Wendung, so fort von Tage zu Tage der dritte und vierte
Mond — tertia et quarta luxa, — bis hin zum siebenten Tage, da
die Sonne im Abend, der Mond aber zwischen Morgen und Abend
im Mittel des Himmels — also um die Hälfte des Himmels von der
Sonne entfernt stehe und genau die Hälfte seiner hellen Seite der
Erde zukehre. Liege aber der ganze Weltraum zwischen Sonne und
Mond; und blicke die Sonne in Westen bey ihrem Untergange nach
dem aufgehenden Monde zurück: dann habe diese, wegen dessen zu
grolser Entfernung von ihren Strahlen den Einfluss auf ihn verlo¬
ren; und am vierzehnten Tage leuchte seine ganze kreisrunde helle
Seite auf die Erde hernieder. Die übrigen Tage nehme dessen helle
Scheibe täglich, bis zur Vollendung des periodischen Monats, vermit¬
telst seiner Umdrehung und seines von neuem nach der Sonne hin¬
gezogenen Laufs wieder ab; und so bestimme der Wechsel seines
Lichts die Zahl der Tage eines Monats.
Der Mathematiker Aristarchus*) von Samos hingegen führt
mit grofsem Scharfsinne in seiner Theorie über denselben Gegenstand
folgende Gründe des Mondwechsels an:
t) Siche von ihm unten Anmerkung t)