M. VITRUVIUS P. BAUKUNST.
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zierlichen Vorplatz — Vestibulum *) — giebt. Denn, wenn das Innere
von stattlichem Ansehen, der Zugang — aditus — aber niedrig und
unansehnlich ist; so ist gegen das Schickliche verstolsen. Ingleichen
beleidiget man das Auge, wenn man bey Dorischem Gebälke
— epistylia, — in der Kornische Zahnschnitte — denticuli, — oder
bey Polster-Kapitälen 4) — pulvinatum capitulum — und lonischen
Säulen Dreyschlitze anbringt; weil einmal bey jeder Ordnung — ordo
eigene Gewohnheiten eingeführt sind.
Das natürliche Schickliche aber erfordert, dass man über¬
haupt zu allen Tempeln eine sehr gesunde Lage und Plätze, die mit
heilsamen Quellen versehen sind, erwähle; ganz vorzüglich aber zu
den Tempeln, welche dem Äskulap, der Gesundheit — salus
und denjenigen Gottheiten geweihet werden, durch deren Hülfe viele
Kranke wieder hergestellt zu werden scheinen. Denn, wenn sieche
Körper von einem angesteckten nach einem gesunden Orte gebracht
werden und dort sich der Gesundbrunnen bedienen können; so
werden sie bald wieder besser, und auf solche Weise bekommt man
denn, bloss vermittelst der Beschaffenheit des Orts, eine höhere ehr¬
furchtsvollere Vorstellung von der Gottheit. Ferner heischt das n'a¬
türliche Schickliche, dass die Schlafzimmer und Bibliotheken
das Licht von der Morgenseite erhalten; die Badezimmer — balnede —
und Wintergemächer — hybernaculum — von der Winter-Abendseite;
und die Bildersäle — pinacotheca — nebst jedem Gemache, das eines
gewissen immer gleichen Lichts bedarf, von der Mitternachtsseite;
weil diese Himmelsgegend durch den Sonnenlauf weder erhellt, noch
verhinstert wird, sondern den ganzen Tag über gleich und unveran¬
derlich hell bleibt.
c) S. unten B. VI. K. 8. Anmerk.t)
4) S. Buch III. K. 3. Anm. y)