VIERTES BUCH. I KAPITEL.
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Putz ihnen um desto wohlanständiger ist. Die erste Erfindung des
Kapitäls derselben wird also erzählt:
Eine Corinthische Bürgerin, ein mannbares Mädchen, ward
krank und starb. Nach dem Begräbnisse sammelte ihre Amme alles
gewesene Lieblingsgeschirr derselben, stellte es in einen Korb und
trug es zum Grabe hin, setzte es hinauf, und bedeckte es mit einem
Ziegelsteine, damit es sich unter freyem Himmel desto länger halten
möchte. Zufällig war dieser Korb auf eine Bärenklauwurzel (Akan¬
thuswurzel) zu stehen gekommen. Als nun diese von der Last ge¬
drückte Wurzel gegen das Frühjahr ausschlug, so trieb sie ihre mitt¬
leren Blätter nebst den Stengeln unter dem Korbe hervor, und in¬
dem also diese auf den Seiten empor wuchsen, stiefsen sie an den
Rand des Ziegelsteins an, wo sie denn des getroffenen Widerstands
wegen genöthiget wurden, sich oben umzubeugen und in Schnecken¬
form zusammen zu wickeln. Es traf sich, dafs Callimachus, der
wegen der künstlichen Zierlichkeit und Feinheit seiner Marmorarbeit
von den Athenern Katatechnos (d. i. Erzkünstler) genannt
wurde, *) bey diesem Grabe vorüber ging und den Korb sammt den
umherwachsenden zarten Blättern bemerkte. Die Art und Neuheit
der Gestalt geliel ihm so sehr, dass er nach diesem Muster Säulen
zu Corinth verfertigte, und, von der Zeit an, Ebenmaass und Ver¬
hältnifs zur Verfertigung
von Gebäuden Corinthischer Gattung
festsetzte und bestimmte.
i) Plinius Buch 34. K. 19. §. 35. nennt den Callimachus Kakizotechnos (d. i.
Kunsttadler), weil er allzu mühsam und nie mit seiner Arbeit zufrieden war. Pau¬
sanias B.I. K. 26. aber sagt von ihm: dass er zwar den grössten Meistern in seiner Kunst
nicht beykomme; jedoch aber in so fern den Vorzug der Geschicklichkeit habe, dass er
zuerst die Steine geboret, weshalb er auch den Namen Oygorexvos entweder sich selbst ge
geben, oder von anderen angenommen habe.