M. VITRUVIUS P. BAUKUNST.
156
Ingleichen errichteten sie darauf der Diana einen Tempel. 5)
Indem sie darauf sannen ihm ein Ansehen von neuer Art zu geben,
folgten sie derselben Spur. Sie nahmen die weibliche Schlankheit
zum Vorbilde, und machten Anfangs die Dicke der Säulen von einem
Achtel ihrer Länge, damit sie desto höher aussehen möchten; legten
ihnen unten Basen *) unter, gleichwie Schuhe; brachten am Kapitäle
Schnecken an, gleich Haarlocken, die zu beyden Seiten hernieder
hangen, und zierten die Stirn mit Wulst — cymatium — und Frucht¬
schnur — encarpi — anstatt der Haare; am Stamme aber liefsen sie
Streife — striae — gleich wie Falten am weiblichen Gewande, von
oben bis unten herablaufen: dergestalt, dass sie, bey Erfindung der
beyden verschiedenen Gattungen der Säulen, in der Einen den nack¬
ten schmucklosen männlichen Körper, und in der Andern die feine,
zierliche weibliche Gestalt, vermittelst der Verhältnisse nachahmten.
Ihre Nachkommen aber, die in Ausbildung und Verfeinerung des
Geschmacks weiter gingen, fanden an schlankeren Formen Gefallen,
und gaben der Dorischen Säule sieben Durchmesser zur Höhe.
neuntehalb aber der lonischen; und nannten letztere Gattung auch.
weil sie von den loniern erfunden worden ist, die Ionische.
Allein die dritte Art, welche die Corinthische heifst, ist eine
Nachahmung jungfräulicher Schlankheit; weil, des zarten Alters wegen,
die Jungfrauen schmächtiger gebildet sind, und eben daher auch der
g) Ich interpungire diese Stelle also: Item postea Dianae constituere aedem,
Quaerentes novi generis speciem, iisdem vestigiis, ad muliebrem transtulerunt gra¬
cilitatem: etc.
h) Hieraus erhellet, dass die alte Dorische Säule keine Base hatte. Auch finden wirsie
also in allen noch vorhandenen alten Griechischen Denkmälern, zu Korinth, in Sicilien, zu
Pästum, zu Athen, und in klein Asien. Siehe Le Roy, Houel, Paoli, Stuart,
und Tonian antiquities.