Ein Beyspiel dieser ersten Tempelgattung unter den bis auf uns erhaltenen
Ueberbleibseln aufzuweisen, wird immer etwas mislich bleiben: denn da die Form
dieser Gattung in den folgenden immer wiederkommt, so kann man, da wo sie auch
ganz entblöfst erscheinet, inimer nicht mit Gewisheit entscheiden, ob sie nicht der
Kern eines größsern Tempels war, wenn anders nicht ihr Giebel noch unzweideutig
erhalten ist: ob wir gleich an den meisten Tempeln die Mauern mehr zerstört sehn
als die Sänlenstellung. Jedoch, wenn man sich nur auf die Rilse des Houel einiger
masen verlasen kann, so dürfen wir den Tempel Askulaps zu Agrigent hier als
Beyspiel eines Tempels in antis anführen. *) An der Hinterfronte hat er zwischen
den beyden Eckpfeilern zwey halb eingemauerte Säulen welche das Bild der Vorder
fronte nachahmen, und ist übrigens ungefähr um ein Viertel der Breite länger, als
ihn Vitruv bestimmt, welches aber wohl daher rührt, weil zwischen dem Naos und
Pronaos Treppen angebracht sind, die auf das Dach führen. Solcher Treppen er¬
wähnt Vitruv nirgends; an den übrig gebliebenen griechischen Tempeln hingegen
finden wir sie so oft wieder, dass sie was Gewöhnliches gewesen zu seyn schei
nen. Die Griechen machten ihre Tempel durchgängig so viel länger als er, dals
sie leicht der Raum zu dergleichen Treppen erübrigen konnten, und Vitruv mogte
sie wohl nur bey sehr grossen Tempeln für erforderlich erachten, wo man leicht
s0 viel Raum von der Tiefe der Nachzelle und des Pronaos entrathen konnte, ohne
ihre Verhältnisse merklich zu stören. So viel scheint mir gewils, dals er sich die
erste Gattung eher in kleinen Dimensionen gedacht hat, und die folgende immer
gradweis wachsen läfst.
Die erste und einfachste Erweiterung dieser ursprünglichen Form der Tempel
bestand darin, dass man vor dem Pronaos noch eine freye Säulenreihe stellte, so
dass die Architrave von dem Eckpfeiler noch weiter hervor bis hin auf diese Saulen¬
reihe gestreckt wurden. **) Vitruv nennt nämlich hier, wie Sie selbst schon sehr
richtig bemerkt haben, die epistylia im Plural darum, weil er unter den einzelnen
jedes besondre Stück der Architrave denkt; welches als ein eigener Block von der
Axe einer Säule bis zu der nächsten reicht: und daher sagt er denn, dals diese Gat-
tung äusser den vordern Epistylien, um jede Ecke herum, noch eines verlange —
nämlich von der vordern Ecksäule, bis auf die hinter ihr befindliche Parastata. Im
Allgemeinen heifst Epistylium, was die obere Bekränzung oder Krönung der Säulenstel¬
*) Ein andres Beyspiel sieht man auf den antiquen Plane von Rom, beym Piranese — Tom. I. Tab.
IIII. fragment. 36.
*) B. III. K. 1.