Full text: Genelli, Hans Christian: Exegetische Briefe über des Marcus Vitruvius Pollio Baukunst an August Rode

Abrbesfernen. 
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sehn, dafs die bis dahin ausgebildete Base eben ihre Vollendung erreicht hatte 
und nicht weiter mehr umgebildet werden durfte, ohne die Reinheit der Grundidee 
dabei einzubüssen, da nur noch müssige und blos angetragene Glieder hinzugefügt 
werden konnten. Die unschuldigste unter der ferneren Erweiterung/war, etwa 
da wo das untere Pfühl noch nicht angenommen war, die vielleicht sehr hohe 
Einziehung durch umgelegte Stäbchen in zwei zu sondern, um ihr so das zu plum¬ 
pe Ansehn zu benehmen; wodurch man denn das gewann, der Säule, wie schon 
bemerkt worden, den Anschein einer kühner Stellung zu verschalfen und die 
Stärke des Schafts mehr hervorleuchtend zu machen. Vitruv nennt dies vorzugs 
weise die Jonische, vermuthlich weil er sie nur in Äsien angetroflen hatte; wie 
er denn auch wohl die andre blos darum Attisch nennt, weil er nur diese in 
Attica gebraucht fand. Allein eben daraus erhellt schon, dals jene späterer Erfin¬ 
dung als diese ist. Sonach hätte man meines Bedünkens bei der reinen Attischen 
Base, ohne untergelegte viereckige, unbequeme und anstössige Plinthe verbleiben 
sollen: was ich von dieser halte, habe ich jedoch schon anderwärts erklärt q). 
Wie der Architektonische Geist in seinen Plasmen immer nach belebenden 
Analogien bildet und bilden muss, welche seinen Constructionen eine Seele gleich¬ 
sam auf allegorische Weise anhauchen, die dann Symbol seiner selbst wird, so 
dass er sich dadurch seinem Werk als einer zweiten Person entgegen gestellt fin¬ 
det, die wieder ihn ansprechen will; davon giebt Vitruv ein schönes und merkwür¬ 
diges Beispiel in dem, was er vom Ursprung der eigenthümlichen Verhältnisse bei¬ 
der Ordnungen erzählt r). Von beiden, sagt er, sey unter den Griechen die Do¬ 
rische zuerst, und von langer Zeit her, im Brauch gewesen. — Viele Tempel mö¬ 
gen in der Zeit nach dieser Ordnung im eigentlichen Griechenland errichtet wor¬ 
den seyn, ohne dass man sonderlich auf Auswahl in ihren Verhältnissen achtete. 
Doch, fährt er fort, als endlich die von Athen ausgesandten Jonischen Colonien 
sich in Asien festgesetzt hatten, und nun. Tempel zu erbauen anlingen; so war der 
erste, den sie unternahmen, der des Pannonischen Neptuns. Diesen errichteten sie 
noch nach dem gewohnten System, wie sie es in den Dorischen Städten üblich 
gefunden, welches sie auch darum das Dorische nannten. Allein, weil sie der 
jungen Hoffnung noch voll mit Liebe an die Werke der Religion gingen, so fin¬ 
gen sie an mit Sorgfalt nach den angemessensten Verhältnissen für einen solchen 
Bau zu forschen und strebten ihm die schönste Harmonie zu geben. — Als der 
Gottheit eines gewaltigen, zerstörenden Elements — gefiel es ihnen wohl das 
g) Im ersten Brief. 
1) Lib. IV. Cap. I.
	        
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