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Die hier angegebenen Verhältnisse der Höhen zu den Weiten gelten jedoch
lediglich für die Tempel; an andern Gebäuden will Vitruv aus guten Gründen nur
den Diastylos gebraucht wissen. Denn da an prophanen Gebäuden die Säulen.
stellungen nie nach einem so ungemein grossen Modul ausgeführt wurden, wie
häulig an den Tempeln geschah, die Frequenz hingegen viel häufiger in solchen
Saulengängen seyn musste; so wurde es wohl nöthig die offenste Weite zu wäh¬
len. In diesen Fällen vermehrt er daher die Säulenhöhe um die Höhen der Base
und des Kapitells, so dafs sie, mit dem Voluten-Kapitell neun und ein Drittel.
mit dem Korinthischen hingegen zehn Dicken beträgt. „Denn,“ sagt er, „an
den Tempeln der Götter sollen die Säulen mehr Würde, an öffent-
lichen Hallen und andern Gebäuden hingegen ein leichteres An-
sehn haben m).“
Dieselbe genaue Beobachtung der rechten Commodulation findet sich auch in
der Bestimmung der Verjüngung des Schafts oder Säulenstammes, da, wie
schon angeführt worden, der untere Durchmesser der eigentliche Modul für den
obern, und die positive Säulenhöhe wesentlich sein Regulativ ist, dem er sich in
vollständiger Abstufung also anpasst, dafs je höher die Säule an Fufmaas, desto
stärker auch ihre obere Dicke in Verhältnifs gegen die untere wird.
Die Entasis hat meines Dafürhaltens unter allen mir bekannten Auslegern
Newton allein richtig gefasst. Vitruv hatte in seinen Rissen eine Regul dafür ge¬
geben. Dieselbe konnte nach vier Methoden gerissen seyn: Entweder indem
man mit der halben Verjüngung, oder der des Profils einen Quadranten zog, sol-
chen durch gleich weit stehende Abeissen eintheilte und diese dann ebenfalls in
gleichen Abständen auf einer Lothlinie, die aus der Spitze des obersten Radius
an der Säule herabgesenkt wurde, über die ganze Höhe vertheilte. Dieser Metho¬
de haben sich häufig die Neuern bedient; sie giebt aber eine unzuverlässige Kur¬
be. Oder es konnte ein reiner Zirkelschlag seyn; wovon jedoch das Centrum gar
zu weit hinausgefallen wäre, und dazu brauchte Vitruv eben nicht einen Riss zu
liefern. Oder auch war sie diejenige Choncoide, zu welcher Nikomedes ein
Instrument erfand, das beim Perrault abgebildet zu finden. Oder endlich konn¬
te sie darin bestehn, dass der Radius der untern Dicke aus dem äusersten End¬
punkt des Radius der obern Dicke abwärts auf die Axe hingetragen, und durch
diese beiden Punkte eine Linie gezogen wurde, so lang, bis sie den verlängerten
Durchmesser der untern Dicke traf, wo sie ein Centrum gab, aus welchem durch
m) Libr. V. Cap. IX.