Siebentes Buch.
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erwacht ist. a) Dieses herrscht im Anfange vor, und die gesammte
Oberfläche ist es, durch welche die Eindrücke der Außenwelt auf
genommen werden. Nach und nach treten die höheren Entwicke
lungen des Gemeingefühles oder die Sinne in Wirksamkeit, aber
nicht, wie manche Psychologen, z. B. Fr. Aug. Carus (Nr. 409,
II. S. 46), annehmen, in der Folgenreihe ihrer Lebensstufen, son
dern in Gegensätzen. Zuerst wirken eine Zeit lang nur die beiden
polaren Endglieder der Sinnenreihe, der Gesichtssinn und der Fühl
sinn: jener, activ, dem Lichte zugewendet, in die Ferne wirkend,
die Dinge als Ganzes umfassend und zur Anschauung der Welt
führend; dieser, passiv, an unmittelbare Nähe gebunden, nur auf
Einzelnheiten gerichtet, und die Undurchdringlichkeit, als den reinsten
Ausdruck der Materialität, zum Gegenstande nehmend. Die Sinne
des Lichts und der Undurchdringlichkeit aber geben in ihrer Ver
knüpfung die unmittelbarste Anschauung des äußeren Daseyns selbst,
während die folgenden Sinne mehr auf die Besonderheiten des Da
seyns und die Eigenschaften der Dinge sich beziehen. — Zunächst
entwickeln sich von den Mittelgliedern der Sinnenreihe der Gehör
sinn und der Geschmacksinn, beide zur Sphäre des kleinen Hirnes
gehörig, auf die inneren Verhältnisse der Dinge und auf die Pro
— Am längsten unentwickelt
portionen der Thätigkeiten gerichtet.
endlich bleibt Geruch und Getast, welche wieder einen Gegensatz
bilden, indem jener Sinn dem Duftigen zugewendet und am unbe
stimmtesten, dieser auf das Starre gerichtet und in seinen Anschau
ungen am bestimmtesten ist. Die Nasenhöhle bleibt bei dem Säug
linge zu unentwickelt, als daß sie einer eben so deutlichen Perception
wie die übrigen Sinnesorgane fähig werden sollte; auch ist ihm
diese kaum ein Bedürfniß, da sie theils sein Wissen zu vermehren
am wenigsten geeignet ist, theils ihm unnütz bleiben muß, insofern
er unvermögend ist, die Veränderungen seines Aufenthaltes auszu
führen und überhaupt die Bewegungen hervorzubringen, zu welchen
ihn der Geruch bestimmen würde. Wenn es gegründet ist, daß
blindgeborene Kinder den mit Milchspeise gefüllten Löffel riechen
(Nr. 145. I. S. 685), so ist dies wohl erst in den späteren Mo
naten des Säuglingslebens der Fall und beruht zum Theil auf
der Compensation eines fehlenden Sinnes durch Steigerung eines