Erstes Buch.
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mehr der Organismus entwickelt ist (§. 85. 121. 136. 157). Da
her sind die Zeugungsorgane einander anfangs mehr ähnlich, und
da sich das Männliche durch Expansion bezeichnet, diese aber erst
allmälig sich entwickelt, so hat es auch ein mehr weibliches Ansehen.
Aber das Weibliche ist in seinem unvollkommenern Zustande mehr
männlich: die Clitoris ist anfänglich sehr groß, so daß man sie
leicht mit einem Zeugungsgliede verwechseln kann, und am Eier
stocke liegt, wie Rosenmüller gezeigt hat, ein dem Nebenhoden
analoges Gebilde, welches in den ersten Jahren nach der Geburt
verschwindet: also auch das Weib geht durch die männliche Form,
als eine niedere, hindurch. Die Metamorphose im Alter stimmt hier
völlig mit der in der Thierreihe überein, wo der unvollkommenste
Eierstock auch die Form des Hoden hat. Wenn Rathke früher
(Nr. 168. II. S. 43 — 46) den Hoden als eine höhere Entwicke
lung des Eierstocks betrachtete, so führten ihn späterhin tiefere Unter
suchungen zu dem Resultate, daß bei den meisten Thieren die männ
lichen Zeugungsorgane nicht alle die Gestalten durchgehen, durch welche
die weiblichen gehen, daß vielmehr hin und wieder die Letzteren vor
ihrer völligen Entwickelung mehr männlich gebildet sind; daß die
Samenleiter nie so vollkommen sich ausbilden, als die Eileiter; daß
also das Männliche nicht für eine höhere Entwickelung des Weib
lichen gehalten werden kann, vielmehr die Geschlechter verschiedene
Erscheinungsweisen desselben Strebens sind (ebd. III. S. 124).
Das Weib und das weibliche Thier bekommt endlich im höhern
Alter, wo es unfruchtbar geworden ist, ein männliches Wesen im
Aussehen und Neigungen, wie wir späterhin finden werden. Also
die weibliche Decrepidität erscheint in männlicher Form; folglich kann
letztere auch in dieser Hinsicht nicht das schlechthin Vollkommenere
seyn.
§. 218. Weib und Mann verhalten sich zu einander wie Pflanze
und Thier. In der Pflanze und im Weibe ist ein Uebergewicht
der Plasticität, im Thiere und im Manne ein Uebergewicht der Irri
tabilität; dort herrscht Kohlenstoff, hier Stickstoff vor, dort hält sich
die Materie mehr in stetiger Verbindung, hier ist sie in steter Zer
setzung begriffen, dort waltet Stetigkeit des Seyns, hier ein starkes
Streben, dort hängt das Leben inniger mit dem Ganzen zusammen,
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