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Gewohnheiten sind ihre Gesetze. Ihre Grundzüge glei
chen Tugenden, die bey ihren partiellen Verbindungen
und bey ihrer väterlichen Herrschaft hinreichen.
Noch muß ich einen Zug ihrer Gastfreyheit erwäh
nen. Ein französischer Offizier war seit einigen Mo
naten der Gefangene eines Anführers der Araber.
Das Lager desselben wurde bey Nacht von unserer
Kavallerie überfallen, er selbst hatte nur eben Zeit sich
zu retten, Zelte, Heerden, Mundvorrath, alles wur
de genommen. Den Tag darauf irret er einsam und
hülflos umher, langt aber dennoch ein Brodt unter sei
nen Kleidern hervor, gibt dem Gefangenen die Hälfte
zu
davon und spricht: „Gott weiß, wann wir mehr
essen haben werden; aber man soll mir doch nicht
nachsagen, mit dem, den ich mir zum Freunde mach
te, nicht auch den letzten Bissen getheilt zu haben."
Kann man ein solches Volk wohl hassen, so wild es
übrigens auch seyn mag? Und welchen Vorzug vor
uns gibt ihnen ihre Mäßigkeit, verglichen mit den Be
dürfnissen, die wir uns geschaffen haben? wie könn
te man Menschen dieser Art bereden oder zu etwas
bringen? werden sie uns nicht immer vorzuwerfen ha
ben, daß wir reiche Erndten auf den Gräbern ihrer
Vorfahren aussäen? So lange wir noch nicht Herren
von Cairo waren, hielten die Strandbewohner des
Nils unsere Existenz in Egypten nur für sehr unsicher,
sie unterwarfen sich deßhalb unserer Armee bey ihrem
gar
Uebergange bloß zum Schein, zweifelten aber
nicht, daß unser Heer von ihren unüberwindlichen Ty
rannen werde aufgerieben werden. Sie erlaubten sich
daher, vielleicht um künftig desto eher Verzeihung für
ihre Unterwerfung zu erhalten, vielleicht um ihren
Raubgeist zu befriedigen, unsere Barken, so oft sie
zur Armee geschickt wurden, oder von ihr zurück ka¬