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lex posterior derogat priori etc. aufgestellt indem
man die verschiedenen Rechtsquellen als gleich verbind
liche und nur der Zeit nach als verschiedene ansah.
6. VII.
Particularrechte.
Durch die Entstehung dieses gemeinen Rechts war
aber die Territorialgesezgebung nicht so sehr beschränkt,
daß nicht in jedem einzelnen Reichsgebiete sich auch ein ei
genes Recht hätte bilden können. Es waren entschie
dene Grundsätze in ganz Deutschland: 1) Jedes Reichs
gebiet befolgt bei Instituten, von welchen im gemeinen
Rechte nichts anzutreffen ist, sein bisheriges Gewohn
heitsrecht; 2) jeder Landesherr hat das Recht in Fäl
len, worüber das gemeine Recht schon etwas bestimmt
hat, von dieser Bestimmung, selbst wenn sie auf ein
Reichsgesez sich stüzte a), abzuweichen; nur mußte der,
welcher bei einem Reichsgerichte auf eine solche Ausa
namsweise vorhandene Bestimmung sich berief, den
Beweis des Daseins führen. Auf diese Art hatte je
des Reichsgebiet eine eigene Gesezgebung a) für Jn
stitute, die nicht gemeinrechtlich waren, und b) für
die Fälle, in welchen man die gemeinrechtlichen Be
stimmungen nicht befolgen wollte. Dies Partikular
recht war dann in den im 16 und 17ten Jahrhundert
fast überall reformirten Land= und Stadtrechten zu
finden, oder durch die Praxis, Partikulargewohnheiten
und den Gerichtsgebrauch aufbewahrt.
a) Merkwürdig ist es besonders die verbindliche Kraft der Reichs
geseze für jedes Reichsgebiet zu kennen. s. C. Thomasius
de statuum imperial potest. Legislat. contra jus comun.
Hal. 1708. Silberrad de potest. stat. imper. Leges in ter
ritor. serend. recess. Imp. contrar. Argent. 1756. Leyser
Med. ad Pand. vol. XII. p. 41. s. Kurtius Handbuch des
sachs. Rechts. 1. Thl. S. 51. Cod. Civ. bavar. p. I. cap. 2.
§. 11.