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§ 6.
Dauer der Fürsorgepflicht.
1. Nach § 92 der Gesindeordnung endigt die Fürsorgepflicht
mit Ablauf der Dienstzeit. Nach der Fassung dieser Bestimmung („eine
solche Krankheit") könnte es zweifelhaft erscheinen, ob sie sich etwa nur
auf den im vorhergehenden Paragraph erwähnten Fall des § 88 beziehen
sollte. Allein es besteht in Wissenschaft und Praxis') die feste Meinung,
daß auch die Fälle des § 86 mit umfaßt werden. Der § 92 sollte
lediglich den Gegensatz bilden zu den §§ 94 und 95, wo ausdrücklich
als Ausnahme die Fortdauer der Fürsorgepflicht — und auch nur in
beschränktem Maßstabe — über die Dienstzeit hinaus angeordnet ist.
Nun spricht die Gesindeordnung allerdings nur von dem Aufhören
der äußeren Verbindlichkeit zur Fürsorge, im Gegensatz zu der inneren,
moralischen Pflicht, eine Unterscheidung, welche dem Bürgerlichen Gesetz
buch unbekannt ist, heute aber auch noch die für das Gefinde günstige
Bedeutung hat, daß die Auffassung von der freiwilligen Fürsorge als
einer sittlichen Pflicht die Rückforderung des zum Zwecke dieser Ver
bindlichkeit Geleisteten, soweit nichts anderes vereinbart ist, ausschließt
(§ 814 BGB.).
Das Dienstverhältnis kann nur durch Kündigung beendigt werden.
Andernfalls gilt der Vertrag als stillschweigend verlängert, selbst wenn
er auf eine bestimmte Zeit geschlossen ist (§§ 111, 114 Geso.). Will
die Herrschaft daher nicht über die verabredete Dienstzeit hinaus für das
kranke Gesinde sorgen, so kann sie dieses nur durch Kündigung unter
Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfristen*) erreichen.
2. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche ist die Verpflegung
und ärztliche Behandlung nur bis zum Ablaufe von 6 Wochen zu ge
währen, oder wenn die Dienstzeit früher abläuft, bis zu diesem früheren
Zeitpunkte. Wird das Dienstverhältnis gemäß § 626*) gekündigt, so
endigt die Fürsorgepflicht gleichwohl nicht vor Ablauf von 6 Wochen oder
der früheren Beendigung der Dienstzeit. Wird aber unter Einhaltung
der gesetzlichen*) oder vertragsmäßigen Kündigungsfrist gekündigt und da
durch die Dienstzeit vor Ablauf von 6 Wochen beendigt, so hört die
Pflicht zur Fürsorge auch mit der auf diese Weise beendigten Dienstzeit
auf. Das Bürgerliche Gesetzbuch hat mit seiner Bestimmung offenbar
nur den Fall im Auge, wo infolge der Krankheit das Dienstverhältnis
*) vgl. Dernburg, Preuß. PrivR. II S. 573 Anm. 22; Jacoby S. 153;
Seyffarth S. 50; OTr. Bd. 46 S. 228, Strieth. Arch. Bd. 94 S. 83.
*) vgl. Nußbaum S. 50.
Hierüber s. §§ 112 ff. Geso.
4) § 626: Das Dienstverhältnis kann von jedem Teile ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
) s. §§ 620 ff.