Full text: Tuhr, Andreas von: ¬Der Nothstand im Civilrecht

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I. Theil. 
Nothstand beim Abschluß von Rechtsgeschäften. 
§ 2. 
Rechtsgeschäft ist die auf Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges 
gerichtete Willenserklärung. Soweit das Gesetz nicht entgegensteht, 
ist das, was die Parteien gewollt haben, Recht. Auf die Motive des 
Willens kommt es nicht an. 
1. Nicht auf die Wahrheit der Motive. Man fragt, was der 
Handelnde gewollt, nicht warum er es gewollt hat. Irrthum im 
Beweggrund macht das Rechtsgeschäft nicht ungültig, sondern gibt 
nur ein Recht auf Wiederaufhebung der Rechtswirkungen, wenn das 
irrthümliche Motiv in der Form der „Voraussetzung“ auftritt. 
2. Es kommt nicht an auf die Stärke der Motive. Ob in der 
Seele des Handelnden mehrere Motive in annähernd gleicher Stärke 
einander gegenüberstanden, so daß zuletzt ein dem Menschen selbst 
vielleicht unbewußter Beweggrund den Ausschlag gab — wodurch dann 
nach deterministischer Anschauung der Schein des „freien Willens“ 
entsteht — oder ob ein Motiv mit so entschiedener Uebermacht auf 
trat, daß alle entgegenstehenden Gründe und Erwägungen überrannt 
wurden, das ist Internum des Handelnden, um das sich weder der 
Mitcontrahent noch das Gesetz kümmert. Das übermächtige Motiv 
kann sehr verschiedener Art sein, z. B. Mitleid, Dankbarkeit, Eitelkeit, 
abnormes Interesse für Wissenschaft oder Kunst, Liebhaberei (Sammel 
wuth), aber auch Furcht vor einer Gefahr, die nur durch das betreffende 
Rechtsgeschäft abgewendet werden kann, d. h. Nothstand. Keines dieser 
Motive ist an sich geeignet, Ungültigkeit des Geschäftes herbeizuführen, 
sofern der Mensch überhaupt handlungsfähig ist, d. h. nach gesetzlicher 
Annahme im Stande, die auf ihn einwirkenden Motive einer ver 
nünftigen Erwägung zu unterwerfen und ihnen die nöthigen Gegen 
motive gegenüberzustellen.
	        
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