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I. Theil.
Nothstand beim Abschluß von Rechtsgeschäften.
§ 2.
Rechtsgeschäft ist die auf Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges
gerichtete Willenserklärung. Soweit das Gesetz nicht entgegensteht,
ist das, was die Parteien gewollt haben, Recht. Auf die Motive des
Willens kommt es nicht an.
1. Nicht auf die Wahrheit der Motive. Man fragt, was der
Handelnde gewollt, nicht warum er es gewollt hat. Irrthum im
Beweggrund macht das Rechtsgeschäft nicht ungültig, sondern gibt
nur ein Recht auf Wiederaufhebung der Rechtswirkungen, wenn das
irrthümliche Motiv in der Form der „Voraussetzung“ auftritt.
2. Es kommt nicht an auf die Stärke der Motive. Ob in der
Seele des Handelnden mehrere Motive in annähernd gleicher Stärke
einander gegenüberstanden, so daß zuletzt ein dem Menschen selbst
vielleicht unbewußter Beweggrund den Ausschlag gab — wodurch dann
nach deterministischer Anschauung der Schein des „freien Willens“
entsteht — oder ob ein Motiv mit so entschiedener Uebermacht auf
trat, daß alle entgegenstehenden Gründe und Erwägungen überrannt
wurden, das ist Internum des Handelnden, um das sich weder der
Mitcontrahent noch das Gesetz kümmert. Das übermächtige Motiv
kann sehr verschiedener Art sein, z. B. Mitleid, Dankbarkeit, Eitelkeit,
abnormes Interesse für Wissenschaft oder Kunst, Liebhaberei (Sammel
wuth), aber auch Furcht vor einer Gefahr, die nur durch das betreffende
Rechtsgeschäft abgewendet werden kann, d. h. Nothstand. Keines dieser
Motive ist an sich geeignet, Ungültigkeit des Geschäftes herbeizuführen,
sofern der Mensch überhaupt handlungsfähig ist, d. h. nach gesetzlicher
Annahme im Stande, die auf ihn einwirkenden Motive einer ver
nünftigen Erwägung zu unterwerfen und ihnen die nöthigen Gegen
motive gegenüberzustellen.