Full text: Reichenbach, Andreas: ¬Der Eid und die Eidesfrage in Deutschland

merken, daß das sittliche Leben der Gesellschaftsglieder nur soweit 
in das Bereich des Gesetzes und der gesetzlichen Behörde fällt. 
als es in das thatsächliche Rechtsverhältnis eingreift und 
zwar verletzend und störend wirkt. So kann z. B. eine Lüge nur 
dann gesetzlich bestraft werden, wenn nachgewiesen wird, daß da 
durch ein Gesellschaftsglied geschädigt worden ist; selbst Schwindel 
und Betrug müssen sozusagen handgreiflich sein, damit sie als solche 
genau bezeichnet und bestraft werden können. Ist dieses nicht der 
Fall, so mag eine Aussage oder eine Handlung an sich noch so 
unsittlich sein, sie füllt doch nicht unter das staatliche Gesetz und 
die Botmäßigkeit des Richters. 
Sind nun die verschiedensten staatlichen Einrichtungen da um 
dem Gesellschaftsgliede möglichst all Das zukommen zu lassen, was 
zu seinem Leben und Gedeihen notwendig und es von der Gesell 
schaft zu beanspruchen berechtigt ist, so hat es die Rechtspflege 
im engeren Sinne damit zu thun, das Gesellschaftsglied im Besitze 
des ihm gehörenden und mit Recht zukommenden zu schützen, ihm 
für Verletzung und Schädigung Genugthuung und mögliche Ent 
schädigung zu verschaffen, sowie den Frevler zur Büßung und zum 
beziehungsweisen Ersatz heranzuziehen. Es ist selbstverständlich, 
daß zur Lösung dieser Aufgabe wieder mancherlei gesetzliche Be 
stimmungen und Verordnungen sowie Einrichtungen getroffen werden 
müssen und auch getroffen worden sind. Und dazu gehört auch 
der Eid. 
Die Erkenntnis der Wahrheit und der Bethätigung derselben 
ist eine durch alle Sittenlehren von der ältesten Zeit bis heute sich 
hindurchziehende Forderung. Wir mögen bei den Lehren der alten 
Inder und ihres großen Reformators Buddha, oder bei Kung-fu-tse 
oder bei Zoroaster anfragen, oder auch einem späterem Kulturvolke 
auf dem Gebiete der Sittlichkeit begegnen. Judentum, Christentum 
und Islam stimmen ebenfalls damit überein; ja das zum Humanismus 
sich läuternde Christentum geht nach den evangelischen Über 
lieferungen schon in der Lehre seines Stifters weiter, indem derselbe 
eine solche Wahrheitsliebe und Wahrhaftigkeit von den Menschen 
verlangt, daß man ihnen auf ihre einfache Versicherung mit Ja 
oder Nein soll Glauben schenken können. Der Humanismus über 
haupt, und der moderne erst recht, verlangt, man solle von einem 
jeden Menschen, den man auch nicht näher kennt, so lange das
	        
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