merken, daß das sittliche Leben der Gesellschaftsglieder nur soweit
in das Bereich des Gesetzes und der gesetzlichen Behörde fällt.
als es in das thatsächliche Rechtsverhältnis eingreift und
zwar verletzend und störend wirkt. So kann z. B. eine Lüge nur
dann gesetzlich bestraft werden, wenn nachgewiesen wird, daß da
durch ein Gesellschaftsglied geschädigt worden ist; selbst Schwindel
und Betrug müssen sozusagen handgreiflich sein, damit sie als solche
genau bezeichnet und bestraft werden können. Ist dieses nicht der
Fall, so mag eine Aussage oder eine Handlung an sich noch so
unsittlich sein, sie füllt doch nicht unter das staatliche Gesetz und
die Botmäßigkeit des Richters.
Sind nun die verschiedensten staatlichen Einrichtungen da um
dem Gesellschaftsgliede möglichst all Das zukommen zu lassen, was
zu seinem Leben und Gedeihen notwendig und es von der Gesell
schaft zu beanspruchen berechtigt ist, so hat es die Rechtspflege
im engeren Sinne damit zu thun, das Gesellschaftsglied im Besitze
des ihm gehörenden und mit Recht zukommenden zu schützen, ihm
für Verletzung und Schädigung Genugthuung und mögliche Ent
schädigung zu verschaffen, sowie den Frevler zur Büßung und zum
beziehungsweisen Ersatz heranzuziehen. Es ist selbstverständlich,
daß zur Lösung dieser Aufgabe wieder mancherlei gesetzliche Be
stimmungen und Verordnungen sowie Einrichtungen getroffen werden
müssen und auch getroffen worden sind. Und dazu gehört auch
der Eid.
Die Erkenntnis der Wahrheit und der Bethätigung derselben
ist eine durch alle Sittenlehren von der ältesten Zeit bis heute sich
hindurchziehende Forderung. Wir mögen bei den Lehren der alten
Inder und ihres großen Reformators Buddha, oder bei Kung-fu-tse
oder bei Zoroaster anfragen, oder auch einem späterem Kulturvolke
auf dem Gebiete der Sittlichkeit begegnen. Judentum, Christentum
und Islam stimmen ebenfalls damit überein; ja das zum Humanismus
sich läuternde Christentum geht nach den evangelischen Über
lieferungen schon in der Lehre seines Stifters weiter, indem derselbe
eine solche Wahrheitsliebe und Wahrhaftigkeit von den Menschen
verlangt, daß man ihnen auf ihre einfache Versicherung mit Ja
oder Nein soll Glauben schenken können. Der Humanismus über
haupt, und der moderne erst recht, verlangt, man solle von einem
jeden Menschen, den man auch nicht näher kennt, so lange das