VI. Volkswirtschaftliche Wirkungen des Warenhandels.
515
wert erst später in Empfang genommen wird und umgekehrt, so kann die Ein
fuhr eines Jahres verschieden sein von der Ausfuhr desselben Jahres.
3. Wenn Aus= und Einfuhr nach den inländischen Preisen berechnet werden.
so muß die Einfuhr um so viel größer erscheinen, als die Kosten des Trans
portwesens für die eingeführten Waren und die beim Einfuhrhandel gemachten
Gewinnste der Kaufleute ausmachen.
Die Handelsbilanz.
Die Lehre von der Handelsbilanz hat lange Zeit eine sehr wichtige Rolle
in der Theorie und in der Politik des Handels gespielt. Man verstand und
versteht heute noch unter Handelsbilanz das Verhältnis der Tauschwerte der ein
geführten und der ausgeführten Waren. Die Handelsbilanz soll darstellen, ob
eine Nation bei ihrem Verkehr mit dem Auslande gewonnen oder verloren hat,
ob ihr Vermögen durch diesen Verkehr gestiegen oder geringer geworden ist.
Von einer Nation, deren Warenausfuhr, in Geld angeschlagen, bedeutender i
als die Wareneinfuhr, sagt man, ihre Handelsbilanz sei günstig; im entgegen
gesetzten Falle ungünstig. Diese Ausdrücke und die ganze Anschauung, welche
durch sie repräsentiert wird, haben ihren Grund darin, daß man diejenigen Be
dingungen, welche für die Privatwirtschaft gelten, auf den volkswirtschaftlichen
Organismus übertragen hat. Wie der einzelne Kaufmann am Jahresschlusse
aus seinem Soll und Haben die Bilanz zieht, so soll auch, meint man, der
Staat den Geldwert der Einfuhr dem Geldwerte der Ausfuhr gegenüberstellen
und die Differenz beider Werte sodann den Gewinn des Jahres repräsentieren.
Den Handelsbilanzen liegt immer bloß der Preis der ein- und ausgeführten
Waren, nicht ihr Gebrauchswert zu Grunde. Darin liegt schon ein großer
Jectum. Denn wenn man den wirtschaftlichen Zustand einer ganzen Nation
beurteilen will, so kommt es vor allem auf den Gebrauchswert ihrer Güter
nicht auf deren Preis an.
Die Lehre von der Handelsbilanz verkennt vollständig das Wesen der inter
nationalen Arbeitsteilung, die wichtigsten Grundlagen der Produktion und der
Konsumtion. Die Ausfuhr gehört der Produktion an, die Einfuhr dagegen der
Konsumtion. In den Verhältnissen der Aus- und Einfuhr muß sich deshalb
das Verhältnis von Produktion und Konsumtion spiegeln. Die ziffermäßige
Vergleichung von Aus= und Einfuhr kann nur nach den Preisen der berechneten
Waren geschehen.
In der Regel müssen diejenigen Leistungen, welche zwei Völker im inter
nationalen Handel für einander vornehmen, notwendig gleich sein. Und ebenso
muß auch die Summe jener Werte, welche ein Volk in einem bestimmten Zeit
raume für alle anderen Völker aufwendet oder denselben schuldig wird, jener
Summe gleich sein, die es dafür empfängt. Dabei müssen aber in die Berech
nung eingeschlossen werden nicht allein Warensendungen und Geldsendungen,
sondern auch Ausgaben und Arbeitsleistungen, welche die Angehörigen des einen
Landes für die Bewohner eines anderen Landes machen.
Wenn bei der Berechnung einer Handelsbilanz ein Volk mehr auszugeben
scheint, als es einnimmt, so kann das herrühren von unrichtigen Berechnungen
oder von solchen Leistungen zwischen den Völkern, welche nicht aus Handels
geschäften herkommen, welche also auch nicht notwendig gleich sein müssen.
Solche einseitige Leistungen können
1. von den Regierungen gemacht werden; z. B. Kriegsentschädigungen,
Subsidien und dergleichen; oder
2. durch den Privatverkehr, z. B. durch auswanderndes Vermögen, Erb
schaften, Gewinnste und dergleichen, die ins Ausland gehen, durch das im Aus
lande verzehrte Vermögen u. s. f.