V. Der Betrieb.
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licher Lösung, wenn sie von Repräsentanten beider Teile, als wenn sie von
einem allein gelöst wird.
Die Unternehmer lernen die Opfer und Mühen und
den Lebensbedarf der Arbeiter genauer kennen, diese dagegen gewinnen Einblick
in die Industrie; sie sehen ein, wie die Konkurrenz der Produzenten, die Roh
stoffpreise, die schwankende Nachfrage auch auf die Lohnhöhe einwirken muß;
kurz jeder wird veranlaßt, sich auf den Standpunkt des anderen zu stellen.
5o könnten derartige Schiedsgerichte und Einigungsämter gewiß eine ge
sunde volkswirtschaftliche Schöpfung sein. Aber zum Wesen dieses Systems
gehört, daß es ein freiwilliges sei. Wo man die Einigungsämter eingeführt
hat (zuerst in England), haben sie schon recht wohlthätige Folgen gezeigt. Frei
lich darf man nicht die Abhilfe aller industriellen Übelstände von ihnen
erwarten.
5. Der Kredit des Industriellen.
Wichtigkeit. Nicht so sehr wie der Kaufmann ist der Industrielle auf die
Benützung des Kredits angewiesen, kann ihrer aber doch in sehr vielen Fällen
nicht entbehren. Und zwar ist es sowohl die passive Benützung des Kredits
das Kreditnehmen
— als auch die aktive — das Kreditgewähren —, welche
oft genug den Industriellen zum Nachdenken über Wesen und Wirkung des
Kredits nötigen. Niemals darf er im Kredit etwas anderes sehen, als die
Vorausempfangnahme des Ertrags einer wirtschaftlichen Thätigkeit, welche mit
Hilfe des Kredits in Scene gesetzt wird. Für den Industriellen existieren zwei
Richtungen der Kreditthätigkeit; Produktion auf Kredit ist ihm die passive,
Verkauf auf Kredit die aktive Seite der Kreditbenützung. Andere Formen von
Kreditbenützung kommen wohl hie und da vor, sind aber keine dem industriellen
Kredit speziell eigentümlichen.
Arten. Der Kredit, welchen der Unternehmer benützt, ist Anlage- oder
Betriebskredit; je nachdem die durch den Kredit angezogenen Werte in die
Anlage oder in den Betrieb verwendet werden. Die Unterscheidung ist deshalb
wichtig, weil die Rückzahlungsbedingungen bei beiden Arten verschieden sein
müssen. Kapitalien, welche in die Anlage gesteckt werden, fordern lange Rück
zahlungsfristen, solche die in den Betrieb gesteckt werden, müssen in kurzer Frist,
in der Regel nach Abfluß des Geschäftsjahres heimbezahlt werden.
Seinen Betriebskredit benützt der Unternehmer meistens in der Weise, daß
er Roh= und Hilfsstoffe vom Rohproduzenten bezieht und bis zum Ablaufe des
Geschäftsjahres schuldig bleibt. Er ist dazu häufig genötigt, weil auch seine
Abnehmer ihm die gekaufte Ware eine Zeitlang schuldig bleiben.
Der industrielle Kredit ist ferner teils Personalkredit, teils Real
kredit. Der reine Personalkredit ist wie allerwärts, so auch hier, eine Aus
nahme. Man leiht dahin, wo man persönliche Tüchtigkeit, Redlichkeit und
wirtschaftliches Verständnis weiß; aber das allein thuts nicht, wenigstens kann
es nicht die Basis für umfangreiche Kreditgewährung werden. Sondern eine
solche bedarf auch noch einer reellen Unterlage: eines Anwesens oder wenigstens
eines kleinen Kapitals an Geräten, Maschinen, Rohstoffen, fertigen Produkten
und an Kundschaft. Kann ein Industrieller, wie z. B. ein Bauunternehmer,
neben seinem Personalkredit zugleich hypothekarische Sicherheit bieten, um so
besser für ihn, weil die Hppothekzinsen niedriger sind, als die im kaufmännischen
Verkehr.
Zufluß des Geschäftskapitals auf dem Kreditwege. Sehr selten arbeitet
ein Unternehmer bloß mit eigenem Kapital; häufig ist er genötigt, den Kredit
zu benützen, um fremdes Kapital leihweise in sein Geschäft einzuführen, da
fruchtbar zu verwerten und später mit Zinsen wieder heimzahlen zu können.