Full text: Handbuch der gesamten Handelswissenschaften für ältere und jüngere Kaufleute, sowie für Fabrikanten, Gewerbetreibende, Verkehrsbeamte, Anwälte und Richter (1)

Grundzüge der Nationalökonomie. 
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nationale Arbeitsteilung bewirkt, daß die verschiedenen Länder die verschiedenen 
Produkte auch mit verschiedenen Vorteilen produzieren. Das muß berücksichtigt 
werden. Staatlicher Schutz der Gewerbe veranlaßt leicht zu übertriebenen Unter 
nehmungen, hindert den Fortschritt und die gewerbliche Regsamkeit. Die Schutz 
zölle sind einseitige Vorrechte mit allen ihren wirtschaftlichen Nachteilen. Jene 
Gewerbe, die überhaupt nicht die nötige Lebenskraft haben, vegetieren unter dem 
Zollschutze zum Schaden der ganzen Volkswirtschaft fort. An dem durch natür 
liche Bedingungen gebotenen Entstehen und Gedeihen der Gewerbe soll man 
nichts verkünsteln und keine kranke und lebensunfähige Industrie hervorrufen: 
denn dadurch wird bloß Kapital und Arbeit jenen Gewerben entzogen, welche 
wirklich lebensfähig wären. 
Diese Grundsätze der Freihandelspolitiker sind im ganzen unzweifelhaft 
richtig; aber es läßt sich doch auch einiges für die Schutzzölle anführen. 
Man darf nämlich vor allem nicht vergessen, daß die gegenwärtigen Staaten 
Resultate vielhundertjähriger Entwicklung sind und daß deshalb ihre Wirtschafts 
verhältnisse nicht plötzlich auf den Kopf gestellt werden können. Es ist freilich 
richtig, daß die internationale Arbeitsteilung jedem Lande jene Gewerbe zuweist 
die ihm am meisten zusagen. Aber anderseits ist doch auch eine gewisse har 
monische Vollständigkeit der Produktion eines Landes durch die Rücksicht auf 
seine Selbständigkeit geboten. Es ist auch keineswegs nötig, daß jedes Gewerbe, 
das bei seiner Entstehung die Konkurrenz des Auslandes nicht aushalten kann, 
ein kränkliches und verkünsteltes sei; es ist im Gegenteil leicht möglich, daß ein 
Gewerbszweig nur anfangs eines Schutzes bedarf, um sich dann bald auf eigenen 
Füßen ohne denselben weiter zu entwickeln, wenn nur einmal die Arbeiter hin 
reichend eingeschult sind und die Kapitalisten das nötige Vertrauen gefaßt haben. 
Hierzu kommt noch, daß unter den europäischen Kulturstaaten keineswegs Über 
einstimmung in Bezug auf die Schutzzölle besteht. Es ist schwierig für ein 
Land, in dieser Hinsicht allein voranzugehen und etwa ohne Berücksichtigung der 
Gesetzgebung anderer Länder freihändlerische Bahnen zu betreten. Die Fort 
schritte vom System des Schutzzolls zu dem des Freihandels können nur ganz all 
mählich und in wesentlicher Übereinstimmung der großen Kulturstaaten geschehen. 
Man ist in den meisten Ländern im Hinblicke auf die für beide und gegen 
beide Prinzipien sprechenden Gründe noch heute zu keinem vollkommenen Frei 
handelssystem gekommen. Man hat das Schutzzollsystem im Prinzip verworfen: 
aber man kann dieses System nicht unbedingt und gewaltthätig beseitigen. Das 
Vernünftigste ist, mit den Faktoren zu rechnen, welche die wirtschaftliche Ge 
schichte jeweils gibt, und die Frage, ob Schutzzölle, ob Freihandel, in jedem 
gegebenen Falle nach der Sachlage und nach dem wirklichen Bedürfnis zu erledigen. 
Man hat bei allem Schutz der inländischen Gewerbe gegen die ausländische 
Konkurrenz folgendes zu beachten: 
1. Die Ursachen übermächtiger Konkurrenz des Auslandes. Diese 
Ursachen können bestehen: 
a) in wohlfeilen Arbeitslöhnen. Wenn das Ausland eine verhält 
nismäßig größere Arbeiterbevölkerung besitzt, wenn diese Arbeiter geringere Be 
dürfnisse haben, kann der Lohn im Auslande niedriger sein und das Ausland 
deshalb billiger produzieren. Dieser Vorzug gleicht sich heutzutage durch Arbeiter 
wanderungen allmählich aus. 
b) In einer größeren Geschicklichkeit und in größerem Fleiß der 
ausländischen Arbeiter. Teils natürliche Begabung, teils bessere Ausbildung 
teils Volkssitte, Wirtschaftspolitik und Geschichte veranlassen solche Unterschiede, 
die aber auch allmählich sich ausgleichen. 
c) In einer größeren Wohlfeilheit der Rohprodukte. Derartige
	        
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