Full text: Handbuch der gesamten Handelswissenschaften für ältere und jüngere Kaufleute, sowie für Fabrikanten, Gewerbetreibende, Verkehrsbeamte, Anwälte und Richter (1)

1. Wesen der Volkswirtschaft. 
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tungen, Korporationen u. s. w. Der gemeine Sprachgebrauch schließt vom Ver 
mögensbegriffe alle Güter aus, die nicht in Zahlen sich abschätzen lassen. Das 
ist eigentlich unrichtig, aber man kommt nicht darüber hinaus. Man unterscheidet 
das Vermögen zunächst nach seinem Besitzer in Privatvermögen, Vermögen von 
Korporationen u. s. f., Vermögen des Volkes und des Staates. Diese ver 
schiedenen Vermögensarten haben verschiedene Mischungsverhältnisse ihrer Güter 
und verschiedene Bedingungen des Wachstums, des Ab- und Zunehmens. Bei 
allen Vermögen aber findet in der Regel ein ununterbrochenes Ab- und Zu 
nehmen statt, bei einzelnen Vermögen mit geringerer, bei anderen mit größerer 
Schnelligkeit. Fast unmerklich ist dieses Ab- und Zunehmen bei den Gütern 
der toten Hand, höchst beweglich dagegen bei dem Vermögen jedes Spekulanten. 
Das Vermögen nimmt ab durch Übergang von Vermögensteilen in fremdes 
Eigentum oder durch Verminderung des Wertes; es nimmt zu durch Herein 
treten fremder Güter oder durch Erhöhung des Wertes der vorhandenen. Die 
Minderung geschieht durch Ausgaben und durch Verbrauch oder Abnützung; 
die Mehrung durch Einnahmen, Produktion und Wertsteigerung. 
Die Berechnung der wirtschaftlichen Bedeutung eines Vermögens ist seine 
Schätzung, für welche teils der Tauschwert, teils der bloße Gebrauchswert 
zur Grundlage genommen werden kann. Im heutigen Wirtschaftsleben werden 
jedoch Vermögen in der Regel nur nach dem Tauschwerte geschätzt. Ist die 
Schätzung eines Privatvermögens schon schwierig, so ist eine auch nur annähernd 
richtige Schätzung eines ganzen Volksvermögens geradezu unmöglich. 
Reichtum und Armut. 
Ein Vermögen, welches sowohl gegenüber den Bedürfnissen seines Besitzers 
als auch gegenüber dem durchschnittlichen Bedürfnisse mehrerer groß ist, nennt 
man Reichtum. Der Reichtum bietet nicht allein genug für den Besitzer, 
sondern er bietet ihm auch mehr als andern. Zugleich liegt in seinem Cha 
rakter die Erhaltung des Vermögens in seiner Vollständigkeit. Der Reichtum 
wird in seiner Bedeutung für die Vervollkommnung der Menschheit sehr häufig 
überschätzt. Er ist nur Mittel zum Zwecke, aber ein thätiges und energisches 
Mittel. Er ist auch ein Ziel menschlichen Strebens. Es gibt eine Menge 
Menschen, welche nicht im stande sind, höhere Ziele zu begreifen. Wenn nicht 
der Reichtum wäre als etwas, das ihr Streben und Ringen herausfordert, 
würden sie vielleicht nach nichts streben und nichts arbeiten; ihre Kraft ginge 
verloren. Wenn diese Kräfte nach Reichtum ringen, arbeiten sie zwar nicht nach 
edlen Motiven, aber sie arbeiten doch und müssen der Zivilisation dienen. Der 
Reichtum des Einzelnen wird an der Befriedigung von feineren Luxusbedürf 
nissen erkannt; der Reichtum eines ganzen Volkes dagegen nur nach dem Reichtum 
aller Klassen der Bevölkerung. Also nicht allein nach dem Luxus der wirklich 
Reichen, sondern auch nach der Lage der minder vermögenden Volksklassen. 
Ferner nach der Größe der vorkommenden Zahlungen, nach der Kreditgewährung 
an andere Völker, nach dem Staatsaufwande und der Leichtigkeit oder Schwierig 
keit, für öffentliche Angelegenheiten und Unternehmungen Kapital zu erhalten. 
Ein Vermögen, das nicht groß genug ist, um die Verhältnisse des Reich 
tums zu bieten, das aber doch mehr als die durchschnittliche Summe üblicher 
Bedürfnisse befriedigen läßt, nennt man Wohlstand. Dieser ist ebensowenig 
bestimmt abgegrenzt wie der Reichtum, hat aber doch gewisse Kennzeichen, nach 
welchen er von der öffentlichen Meinung beurteilt wird. Jene Größe des Ver 
mögens, welches nur die mittleren standes- und landesüblichen Bedürfnisse be 
friedigen läßt, nennt man Auskommen. Im Zustande der Dürftigkeit 
dagegen sinkt die Fähigkeit der Bedürfnisbefriedigung unter das Niveau des 
Glückes herab. Die Dürftigkeit gehört schon zu den Kehrseiten des Reichtums. 
Maier=Rothschild, Handbuch. I. 4. Aufl. 
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