392 Zweites Kapitel. Schuldverhältnisse aus Rechtsgeschäften.
brach die zuerst in voller Schärfe von Unger als „Kreations
theorie“ entwickelte neue Lehre, die dem Vertrage die Macht gab
dem Dritten, ohne dessen Zutun, ein selbständiges und sofort un
widerrufliches Forderungsrecht zu verschaffen "2. Eine bedeutungs
volle Ermässigung der Gegensätze brachte der namentlich von
Gareis durchgeführte Gesichtspunkt, dafs über die Vertrags
wirkungen auch in Ansehung des Rechtes des Dritten in erster
Linie der Parteiwille entscheide ?3
Das Bürgerliche Gesetzbuch hat die Postulate der am
weitesten vorgeschrittenen gemeinrechtlichen Theorie zu geltenden
Recht erhoben. Es setzt die uneingeschränkte Zulässigkeit der
Verträge auf Leistung an Dritte als selbstverständlich voraus. Es
gibt den Vertragschliefsenden die Macht, jeden derartigen Vertrag
als Vertrag zugunsten des Dritten mit der Wirkung auszustatten,
dafs der Dritte unmittelbar das Recht erwirbt, die Leistung zu
fordern. Es gewährt aber volle Vertragsfreiheit und stellt in der
Frage, ob und wie im einzelnen Falle der Vertrag für den Dritten
wirkt, Alles auf den Parteiwillen ab ?4
III. Verträge zugunsten Dritter im heutigen Recht.
1. Fälle. Nach dem Gesagten ist jeder Vertrag auf Leistung
an einen Dritten ein Vertrag zugunsten des Dritten, wenn ein
Forderungsrecht des Dritten als Vertragswirkung gewollt ist’5
In Ermangelung einer besonderen Bestimmung, die nur selten
getroffen sein wird, ist aus den Umständen, insbesondere aus dem
Zwecke des Vertrages, zu entnehmen, ob der Dritte das Recht
72 Unger a. a. 0. S. 62 ff. geht so weit, dass er nicht nur den unmittel
baren, sofortigen und unwiderruflichen Rechtserwerb des Dritten, sondern auch
den Ausschlufs jedes Forderungserwerbes seitens des Promissars zum Prinzip
erhebt. Übereinstimmend Siegel S. 155 ff., der nur darin abweicht, dals er
Fälle anerkennt, in denen der Dritte nicht sofort erwirbt. Für den unmittel
baren, aber nicht notwendig sofortigen und unwiderruflichen Rechtserwerb des
Dritten, jedoch gegen die Verneinung des Forderungsrechtes des Promissars
bes. Gareis S. 223 ff. (bei „echten“ Verträgen zugunsten Dritter), Stobbe
§ 225 III (in einzelnen Fällen), Regelsberger a. a. O., Windscheid § 316“
Z. 3, Ehrenzweig a. a. O. S. 48 ff.
73 Gareis S. 205 ff.; Windscheid a. a. O.
74 Über das Bedenkliche dieser Verweisung auf den souveränen Partei
willen vgl. meine Schrift über den Entw. S. 221, Endemann a. a. O. Anm. 8.
Für einige wichtige Fälle schafft das B.G.B. durch Auslegungsregeln Abhilfe.
76 Gegen die Ansicht, daßs nicht der Vertrag als solcher, sondern ein in
ihm enthaltenes einseitiges Schuldversprechen das Recht des Dritten erzeuge,
vgl. oben § 189 S. 314 ff. Anm. 17—18.