Erstes Kapitel. Schuldverhältnisse überhaupt.
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§ 178. Änderung der Schuldverhältnisse.
I. Überhaupt. Ein Schuldverhältnis kann, ohne seine Iden
tität einzubüssen, sich inhaltlich ändern'. Die ursprüngliche
Leistungspflicht kann eine Erweiterung oder eine Einschränkung
erfahren. Eine Nebenleistungspflicht kann hinzutreten oder weg
fallen. Die geschuldete Leistung kann durch eine andere Leistung
nach Wahl des Gläubigers oder des Schuldners ersetzbar werden.
Möglich ist aber auch, dafs die ursprüngliche Leistungspflicht völlig
ausgeschaltet und durch eine andere Leistungspflicht ersetzt wird.
Besonders häufig wandeln sich Leistungspflichten jeder Art in eine
Verpflichtung zum Schadensersatz um. Eine regelmässige Erschei
nung ist ferner die Umwandlung einer andersgearteten Schuld in
eine Geldschuld. Die Änderung eines Schuldverhältnisses kann sich
auch auf den Ort oder die Zeit der Leistung beziehen.
II. Rechtsgeschäftliche Änderung. Jede an sich mög
liche Änderung des Schuldinhaltes kann innerhalb der Grenzen
der Vertragsfreiheit durch Vertrag herbeigeführt werden. Ob
blofse Änderung des bestehenden Schuldverhältnisses oder Auf
hebung des bisherigen und Begründung eines neuen Schuldverhält
nisses gewollt ist, kann oft zweifelhaft sein und ist dann durch
Auslegung zu ermitteln. Blofse Änderung ist stets die Hinaus
schiebung der Leistungszeit durch Stundung 2
Eine Änderung des Schuldinhaltes durch einseitige Willens
erklärung des Gläubigers oder des Schuldners kann kraft eines
vertragsmässigen oder gesetzlichen Gestaltungsrechtes vollzogen
werden 3
i Eine Änderung liegt auch in dem Wechsel des Subjekts, wovon in
§ 180—181 zu handeln ist. Desgleichen in dem Eintritt oder dem Wegfall der
Verbindung mit einem anderen Schuldverhältnis mit identischem Inhalt; oben
§ 176 V und unten § 182—183.
Keine Änderung des Schuldverhältnisses
als solchen, aber für dieses von tiefgreifender Bedeutung ist eine Änderung in
den Haftungsverhältnissen: der Wegfall der Haftung (z. B. durch Verjährung)
oder ihre Wiederherstellung (z. B. durch Anerkenntnis), der Eintritt einer Be
schränkung der Haftung oder die Umwandlung beschränkter Haftung in un
beschränkte (z. B. für den Erben), der Hinzutritt oder der Wegfall einer Sach
haftung oder einer Bürgenhaftung usw.
2 So lange auf Grund der Stundung die Leistung verweigert werden kann,
ist die Verjährung gehemmt; B.G.B. § 202.
3 So durch Ausübung eines Wahlrechtes, Bestimmungsrechtes, Frist
setzungsrechtes, Kündigungsrechtes usw.; auch der Rücktritt kann zu einer
blossen Veränderung des Schuldinhaltes führen.