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Nudorff,
ferner der Provinzialedicte unter einander, nicht aber die Zusammen-
ziehung beider in eine einheitliche Reichscivilproceßordnung fest hielt.
Seine Commentare stellen den Uebergang dar zwischen der
örtlichen Mannigfaltigkeit des republikanischen dus honorarium der
Ciceronischen Zeit und der vollendeten Einheit der Ulpianischen und
Paulinischen Commentare. Zwischen Pius und Caracalla, Gaius
und Ulpian liegt ein halbes Jahrhundert; die nationalen und
Bürgerrechtsverschiedenheiten, welche Caracalla ausglich, waren da-
mals noch in Kraft2a), die hauptstädtische Schwurgerichtsverfassung,
die Severus in Criminalsachen aufhob, stand noch unerschüttert
da.^) Zu diesem praktischen Interesse gesellte sich das wissenschaft-
liche und rechtshistorische, welches dem Gaius als Glied der Sa-
binianischen Schule, als Schriftsteller für die diversae stationes
ius publice docentium aut respondentium in der Hauptstadt,
näher liegen mußte als den spätern Autoritäten im Rathe des Kai-
sers. Diese Rücksichten bewogen ihn, im .Privatrecht weit über
den Sabinus, bis auf Quintus Mucius, ja bis auf die zwölf Ta-
feln zurück zu gehen, obgleich diese schon seit Cicero's Zeit dem
Edict gewichen und dem antiquarischeu Studium anheim gefallen
waren. Dasselbe wissenschaftliche Bedürfniß führte aber im Proceß-
recht zu jenem Doppelcommentar, der die Verschiedenheiten der
centumviralen Legisactionon und der Provinziellen Formeln, der
hauptstädtischen legitima iudicia und der auswärts Kraft des Im-
perium niedergesetzten Gerichte, des römischen Actus rerum und
der provinziellen Convente gehörig auseinander hielt.^) Wie richtig
Gaius das wissenschaftliche Bedürfniß der hauptstädtischen und
Provinzialschulen erkannt hatte, zeigt der merkwürdige Umstand, daß
von dem hauptstädtischen Commentar nach der Angabe des Floren-
tiner Inhaltsverzeichnisses in Constantinopel nur die zehn letzten
Bücher aufgefunden werden konnten und daß diese zehn Bücher in
alterthümlicher sonst überall in der Compilation ausgemerzter Weise
noch nach den Titeln und deren Unterabtheilungen in außerordent-
liche Schulpensa (Libri singulares) allegirt werden: während der
a*) Gai. 1, 95, vgl. L. 17 D de statu hom. (1, 5.)
*•) Ulpian.il, 27 gedenkt noch der Römischen legitima iudicia in Civil-
sachen: die Strafgerichte mit Geschworenen wichen aber seit der Epistula Se-
hers an den Fabius Cilo der Criminaljustiz des Stadtpräfecten L. 1. D de
off. Praefecti Urbi (1, 12).
M) Gai. 1, 20. 2, 278. 279. 4, 31. 95. 104—110.