Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 11 (1896))

Nichtstreitige Gerichtsbarkeit.

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Das ganze Gebiet der nichtstreitigm Gerichtsbarkeit ist noch in
geringem Maße wissenschaftlich durchgearbeitet, und wohl hauptsächlich
diesem Umstande ist es zuzuschreiben, daß die strenge Trennung zwischen
materiellem Recht und Verfahren, wie sie sonst das Privatrecht be-
herrscht und wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch einerseits und der Zivil-
prozeßordnung andererseits zu Tage tritt, sich hier noch nicht heraus-
gebildet hat. Eine Ausnahme macht das Grundbuchwesen. Hier
repräsentiren allerdings die Vorschriften des BGB. einerseits und die
— zur Zeit nur nach den Beschlüssen der ersten Bundesrathskommission
vorliegende — Grundbuchordnung andererseits genau das Verhältniß
vom materiellen Recht zum Prozeß. Im Uebrigen bestimmt der Art. 1
des Entwurfs zum Einführungsgesetz, daß gleichzeitig mit dem BGB.
ein „Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit"
in Kraft treten soll. Allein für den Inhalt des BGB. bildet es einen
erheblichen Nachtheil, daß dieses Gesetz nicht gleichzeitig fertig gestellt
worden ist. Einerseits haben, wie unten noch gezeigt werden soll, die
Vorschriften des BGB. durch diesen Umstand an Koncinnität und Har-
monie erheblich eingebüßt, andererseits setzen viele Vorschriften des
BGB., wenn man zu ihnen Stellung nehmen will, voraus, daß
man wenigstens den Rahmen des betreffenden Ergänzungsgesetzes und
seine Grundzüge kennt. Wie will man sachgemäß entscheiden, ob dem
Vormundschaftsgericht so weitgehende Befugnisse, wie die oben dar-
gestellten, unter Ausschluß des ordentlichen Rechtsweges übertragen werden
sollen, ob man ihm ein Einschreiten gegen die Verwendung öffentlich
gesammelter Gelder mittels Anordnung einer Pflegschaft (§ 1890) ge-
statten, ob man die Entsetzung von Testamentsvollstreckern dem Er-
messen des Nachlaßrichters unterstellen soll, wenn man nicht weiß, wer
diese Gerichte sind und mit welchen Garantien ihr Verfahren umkleidet
ist? An irgend welcher Sicherheit über die Grundlage des betreffen-
den Ergänzungsgesetzes fehlt es aber bis jetzt vollständig. Zwar dürfen
wir soviel annehmen, daß das Gesetz sich nicht auf die Vorschriften
über das sog. gerichtliche Notariat beschränken soll, sondern daß der
Nicht im Sinne eines Aktes der Gerichtsbarkeit geordnet ist dagegen das
öffentliche Hinterlegungswesen (8 366 und EinfGes. Art. 144—146), die Dis-
pensationsbefugniß bei Ehehinderniffen (8 1305) und die Ehelichkeitserklärung
unehelicher Kinder (8 1699). Die Regelung dieser Prozeduren ist dem Landes-
recht überlassen.

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