Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 19 (1901))

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Heyer.

rechte das Pfändungsrecht des preußischen Landrechts, die vorläufige
Festnahme der St.P.O., sowie wiederum der Nothstand.
\ Alle diese Rechte haben mit der Selbsthülfe das gemeinsame Merk-
mal, daß bei Gefahr im Verzüge und (wenigstens bei der Pfändung
und vorläufigen Festnahme) Nichterlangbarkeit obrigkeitlicher Hülfe,
Eigenmacht gestattet ist.
Neben diesen eigentlichen Nothrechten giebt es dann im Rechts-
system noch eine ganze Reihe anderer Rechtsinstitute, die man un
eigentliche Nothrechte nennen könnte. Dahin gehört die Besitzes-
selbsthülfe, die Nothwehr, die Pfändung des Feld- und Forstpolizeigesetzes,
die Abschußrechte von Wild, Tauben, Enten, revirenden Hunden, das
Verfolgungsrecht bei Bienen u. s. w. In allen diesen Fällen ist Eigen-
macht erlaubt, auch wenn keine Gefahr im Verzug und richterliche
Hülfe bereit ist. Fast alle diese Rechte sind zur Abwehr eines Angriffs
bestimmt. Sie haben heutzutage einen defensiven Charakter, sind aber
oft aus alten Racherechten entstanden. Hierfür spricht bei der Noth-
wehr die scharfe Gegenüberstellung des römischen Rechtes: vim vi re-
pellere licet. Für die Pfändung vgl. Wilda S. 248, für die Abschuß-
rechte Grimm, Rechtsalterthümer S. 595 ff. Diese Racherechte sind
dann im Laufe der Zeit zu uneigentlichen Nothrechten abgeschwächt.
Zu eigentlichen Nothrechten wurden sie deswegen nicht, weil der geschehene
Angriff die Noth genügend wahrscheinlich machte, so daß sich der Gesetz-
geber der Prüfung, ob im einzelnen Falle dies Erforderniß zutrisst, für
überhoben erachtete. Die Noth wird bei den uneigentlichen Nothrechten
gewissermaßen fingirt.
Daß sie bei den eigentlichen Nothrechten im einzelnen Falle bewiesen
werden muß, liegt theils daran, daß sie aggressiv sind, wie Nothstand und
Selbsthülse, theils an der Wichtigkeit der betreffenden Eigenmacht, wie bei
der vorläufigen Festnahme, theils ist es Zufall, wie z. B. der Umstand be-
weist, daß dasselbe Rechtsinstitut der Pfändung im Landrecht eigentliches
Nothrecht, dagegen im Feld- und Forstpolizeigefetz — der älteren deutschen
Rechtsanschauung entsprechend — ein uneigentliches Nothrecht ist.
3. Von den bisher berührten Nothrechten unterscheidet sich der
Arrest und die einstweilige Verfügung dadurch, daß beide die Erlang
barkeit richterlicher Hülfe voraussetzen. Diese beiden sind gerichtliche
Nothrechte, dagegen Selbsthülfe, Pfändung, Nothwehr u. s. w. außer
gerichtliche Nothrechte.

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