3.
Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch
:
IV. Vertrag und Uebergabe
Von J. Kohler
1.
Zwölf Studien zum Bürgerlichen Gesetzbuch.
Von 3. Köhler.
IT. Vertrag und Uebergabe.
8 i.
Der große nnturrechtliche Gedanke des französischen Rechtes, daß
der bloße Vertrag genügt, um das Eigenthum der Sache zu übertragen,
ist im Bürgerlichen Gesetzbuch scheinbar nicht angenommen worden.
Zwar bei unbeweglichen Sachen ist der Satz durch das Grundbuchsystem
von selbst gegeben; denn in der That hat bei Grundstücken das Tra-
ditionssystem schon längst keinen Werth mehr: Auflassung und Grund-
bucheintragung sind die leitenden Faktoren, §§ 873, 926 B.G.B., wie
schon im klassischen römischen Recht die Manzipäkion, die ja nicht auf
dem Grundstück selbst vorgenommen zu werden brauchte.
Von beweglichen Sachen spricht das B.G.B. scheinbar den ent-
gegengesetzten Grundsatz aus, daß neben der Einigung der Parteien
Uebergabe der Sache nöthig sei (§ 929). Jndeß, das Traditionssystem
ist im B.G.B. so sehr spiritualisirt, daß man kecklich sagen kann: formell
gilt das Traditions-, materiell das Vertragssystem, es gilt das Ver-
tragssystem, allerdings in einer verfeinerten Form; und so ist der Ge-
danke verwirklicht, den ich schon vor 25 Jahren in meiner Erstlings-
arbeit ausgesprochen habe?)
Hat doch eigentlich auch das französische Recht das Traditions-
systein, nur ist es eben vergeistigt und seiner Erdenschwere entkleidet.
Das Mittel der Vergeistigung war vor allem das constitutum pos-
sessorium, diese größte Errungenschaft des Juventius Celsus, über
') Der dingliche Vertrag (1874), auch in den Gesammelten Abhandlungen
S. 1f.
Archiv für bürgerliches Recht. XVIII. Band.
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