Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 29 (1906))

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Eugen Josef.

Nach der Ansicht des Kammergerichts darf also das Vormund-
schaftsgericht die Anordnung der Pflegschaft wegen Aussichtslosigkeit
des beabsichtigten Rechtsstreits „regelmäßig" nicht ablehnen. Weniger
bestimmt lautet über diese Frage ein Beschluß des Oberlandesgerichts
Jena, der im „Recht" 1902 S. 435 N. 2020 dahin mitgeteilt wird:
„Voraussetzung der Anordnung einer Pflegschaft nach § 1909 ist,
daß das Bedürfnis einer solchen vorliegt, die Prüfung der Bedürfnis-
frage ist Sache des Vormundschaftsrichters. Nur wird man dem
Prüfungsrecht des Vormundschaftsrichters nicht zu weite Grenzen stecken
dürfen. Ist der Pflegebefohlene der Beklagte, so wird die Bedürfnis-
frage ohne weiteres zu bejahen sein, da schon der Umstand, daß gegen
den Pflegebefohlenen eine Klage erhoben ist oder ihm droht, das Be-
dürfnis der Pflegschaft begründet. Darüber, ob die Rechtsverteidigung
des Pflegebefohlenen berechtigt oder unberechtigt ist, kann und soll
nicht der Vormundschaftsrichter, sondern der Prozeßrichter entscheiden.
Was von der Beschränkung des Prüfungsrechts des Vormundschafts-
richters bei Bestellung eines Pflegers zum Zweck der Rechtsverteidigung
gilt, wird im allgemeinen auch im Fall der Rechtsverfolgung gelten
müssen."
Das Oberlandesgericht Jena spricht also dem Vormundschafts-
gericht das Recht, die Aussichten eines für den Pflegling beabsichtigten
Rechtsstreits zu prüfen, „im allgemeinen" ab, dies Prüfungsrecht
soll dem Vormundschaftsgericht nicht in „zu weiten Grenzen" zustehen,
wogegen das Kammergericht ihm das Prüfungsrecht „regelmäßig"
abspricht.
Während in diesen beiden Beschlüssen der Umfang des vormund-
schaftsgerichtlichen Prüfungsrechts erörtert ist für den Fall, daß für
den Pflegling eine Klage erhoben werden soll, ist die gleiche Frage
für den Fall, daß gegen den Pflegling eine Klage erhoben werden
soll, erörtert in einem Beschluß des Bayerischen Oberlandesgerichts
(SeufsA. 56, 91, auszugsweise auch in OLG. 1, 485), dem folgender
Sachverhalt zugrunde liegt: Eine Witwe hatte sich bei der Aus-
einandersetzung mit ihren Kindern den Zinsgenuß an dem diesen zu-
gefallenen Vermögen Vorbehalten und beantragte, den Kindern gemäß
§ 1909 einen Pfleger zu bestellen, da sie eine bestimmte Erklärung
herbeiführen und erforderlichenfalls durch Klage erzwingen wolle,
daß ihr der Zinsgenuß auch nach ihrer Wiederverheiratung zustehe.

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