Beitrage zur Dogmatik des Tarifvertragsrechts.
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typus ausgebildet, der im Bewußtsein der Interessenten als „Muster"
bewertet werden könnte^).
Jedenfalls soll die Hervorhebung der dem Rechtsverhältnisse zu-
grunde liegenden Jndividualmomente nicht dazu führen, daß man die
rechtliche Bedeutung des kollektiven Zusammenschlusses der bei Tarif-
vertragschließung Primär interessierten Einzelnen in Abrede stellt und
den Einfluß der Organisation auf die Dynamik des Rechtsverhältnisses
verkennt. Was von der Verbandstheorie zu sagen ist, und zwar, daß sie
als Normalform der Vertragschließung nicht erachtet werden kann,
gilt auch hier, wenn auch irgendwelche fiktive Übertragung der Haupt-
funktion und des wesentlichen Inhaltes der Tarifregelung vermieden
und der Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses in der durch Einheit
der Vereinbarung zusanlmengehaltenen Summierung von Einzelrechten
und -pflichten gesucht wird. Setzt man voraus, daß der Tarif-
vertrag mit und durch Beteiligung der Organisation zustande kommt,
so müßte die vollständige Negation von irgendwelcher rechtlichen
Bedeutung dieser Verbandsbeteiligung zur Ansicht führen, daß die kor-
porative Vertragschließung im Grunde genommen sich von derjenigen
Kontrahierungsart nicht unterscheidet, bei welcher nicht organisierte lose
Gesamtheiten auf der Arbeitnehmerseite hervortreten. Sollte der Ver-
band bloß dazu dienlich sein, um als Vertreter seiner Mitglieder beim
Vertragschluß zu fungieren und dann sich weder um die Durchführung
des durch seine Vermittlung zustande gekommenen Vertrages zu kümmern,
noch irgendwelche, wenn auch auf unwesentlichen Vertragsinhalt sich
beziehende Verpflichtungen zu übernehmen und dementsprechende
Rechte zu schaffen, so wäre seine Rechtsstellung von derjenigen eines
gewöhnlichen Vertreters, der nach dem Vertragsabschluß sich zurückziehen
kann, nicht zu unterscheiden. Mit gleichem Erfolg könnte doch die
Vertreterrolle nicht nur vom Vorstande oder leitenden Ausschüsse der
Organisation, sondern auch von irgendwelcher dritten dem Verbände
überhaupt nicht angehörenden Person übernommen werden. Man könnte
7) „Eine bestimmte Konstruktion als die normale anzusehen, selbst wenn
sie sich mit dem Parteiwillen nicht deckt, liegt keine Veranlassung vor. Eine
Normalform, die im Zweifel anzunehmen wäre, läßt sich nur durch positive ge-
setzliche Bestimmung schaffen." So heißt es in dem Buche „Die Weiter-
bildung des Tarifvertrags im Deuffchen Reich, Beiträge für Arbeiterstatistik
Nr. 8, bearbeitet im Kaiserlichen Statistischen Amt, 1908" S. 238.
Archiv für bürgerliches Recht. XXXVI. Band. 15