Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 20 (1902))

Fürsorgeerziehung.

281

3. Unter den sämmtlichen Vorbehalten nimmt nun der
das Zwangserziehungsrecht betreffende Art. 135 E.G. eine
ganz vereinzelte Stellung ein, eine Stellung, die sich vielleicht
dadurch erklärt, daß das Zwangserziehungsrecht, wie wir sahen,
ursprünglich nur bruchstückweise und erst allmählich als einheitliche
Materie der Landesgesetzgebung überwiesen wurde. Hier haben wir
es nämlich ausnahmsweise mit einer dem Landesrechte vorbehaltenen
Materie zu thun, die schon im B. G. B. selbst in den Grundzügen
geregelt wird.
Wie ist hier das Verhältniß des B.G.B. zu den Landesgesetzen
zu bestimmen? M. E. hat die Reichsgesetzgebung durch den allgemeinen
Vorbehalt des Zwangserziehungsrechts erklärt, die Materie nicht regeln
zu wollen, falls die Landesgesetzgebung — gleichviel in welchem
Umfange — sie regeln wolle. Die Vorschriften des B.G.B. über
Zwangserziehung Minderjähriger gelten also nur dann, wenn und
so lange die Landesgesetzgebung diese Materie überhaupt nicht
normirt. Sie sind negativ bedingt. Hat sich die Landesgesetz-
gebung der Materie einmal, gleichviel in welchem Umfange, bemächtigt,
so müssen ihr die bezüglichen Vorschriften des B.G.B. das Feld räumen-
Sie gelten dann nicht etwa subsidiär, soweit nicht die Landesgesetze
ein Anderes bestimmen, sondern sie gelten gar nicht — es wäre
denn, daß das Landesgesetz selbst ihnen durch Bezugnahme auf
sie Kraft verleiht. Insoweit gelten jene Vorschriften des B.G.B. aber
eben nicht aus eigener Kraft, sondern kraft Landesrechts.
Es besteht also ein prinzipieller Unterschied zwischen den zahl-
reichen speziellen Vorbehalten und dem allgemeinen Vorbehalte für das
Zwangserziehungsrecht. Dort gilt, wie wir sahen, das Reichsrecht,
soweit nicht die Landesgesetzgebung bestimmt, daß es nicht gelten solle,
m. a. W., soweit nicht die Landesgesetzgebung es ausschließt; hier
gilt das Reichsrecht nicht, soweit nicht die Landesgesetzgebung be-
stimmt, daß es gelten solle, m. a. W., soweit nicht die Landesgesetz-
gebung ihm Kraft verleiht — es wäre denn, daß die Landesgesetz-
gebung von der ihr gelassenen Freiheit überhaupt keinen Gebrauch nracht.
Zu dieser Auffassung nöthigt zunächst der Wortsinn des ersten
Satzes des Art. 135 E.G., die Ausdrucksweise „unberührt bleiben"
mit Beziehung auf die ganze Materie der Zwangserziehung. Fände
der § 16 66 B.G.B. Anwendung, soweit nicht die Landesgesetze ein Anderes

Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.

powered by Goobi viewer