Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 20 (1902))

Fürsorgeerziehung.

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oder des H 1838 B.G.B. vorliegen, kann das Vormundschaftsgericht
nicht mehr einschreiten. Es erscheint völlig ausgeschlofsen, daß, wenn
der Strafrichter erkannt hat, ein Minderjähriger solle nicht einer
fremden Familie oder Anstalt, sondern seiner eigenen Familie über-
wiesen werden, der Vormundschaftsrichter auf Grund desselben That-
bestandes die Fürsorgeerziehung anordnet und so die Verwaltungsbehörde
zwingt, den Minderjährigen, unbeschadet der Vorschrift des § 10 Abs. 2
Fürsorgeerziehungsgesetzes, wenigstens zunächst in einer fremden Familie
oder Anstalt unterzubringen, oder daß umgekehrt, wenn der Strafrichter die
Unterbringung in einer Anstalt augeordnet hat, der Vormundschaftsrichter
dieselbe für unzulässig erklärt. — Die Anordnung des Strafrichters
hat sich allerdings auf das „Ob" der Unterbringung zu beschränken:
das „Wie", also die weitere Durchführung der Zwangserziehung, steht
auch hier der Verwaltungsbehörde zu. (Entsch. des Reichsgerichts vom
30. September 1882, Bd. 7 S. 180, Oppenhoff, Kommentar zu
§ 56 Str.G.B. Anm. 14.) Die Kosten fallen, entsprechend den Kosten
der Strafvollstreckung, lediglich der Staatskasse zur Last.
Mehrere Landesgesetze haben zwischen sich und dem § 56 Str.G.B.
eine Brücke geschlagen, indem sie das auf Unterbringung lautende Ur-
theil des Strafrichters die Stelle des Beschlusses des Vormundschafts-
gerichts vertreten lassen, im Uebrigen aber für diesen Fall der Zwangs-
erziehung dieselben Grundsätze wie für alle anderen Fülle normiren.
(Vgl. z. B. Badisches Gesetz vom 29. August 1900 § 12, Würtem-
bergisches Gesetz vom 29. Dezember 1899 Art. 22.) In Preußen
hat Ulan die Aufnahine einer gleichen Bestimmung in das Fürsorge-
erziehungsgesetz aus den voin Kommissions-Berichterstatter Delbrück
in der 5. Sitzung des Herrenhauses (Sten. Bericht S. 37) dargelegten
Gründen abgelehnt.
2. Eine weitere Sondervorschrift enthält der Z 362 Abs. 3 in Ver-
bindung mit § 361 Z. 6 Str.G.B. Darnach können die wegen
gewerbsmäßiger Unzucht verurtheilten und der Landespolizeibehörde
überwiesenen Dirnen ohne Rücksicht auf ihr Alter unmittelbar von
der Laildespolizeibehörde unter Anderein in eine Besserungs- oder Er-
ziehungsanstalt untergebracht werden. Erforderlichenfalls (wenn nämlich
die Unterbringung in einer solchen Anstalt oder in einem Asyle nicht
sichergestellt ist) sollen nach ben Ausführungsbestimmungen zum
Fürsorgeerziehungsgesetze vom 18. Dezember 1900 zu H die zuständigen
Archiv für bürgerliches Recht. XX. Band. 19

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