Full text: Archiv für bürgerliches Recht (Bd. 20 (1902))

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Paul Oertmann.

zeigt schon rein äußerlich das Anwachsen der Seitenzahl von 168 auf 598. Auch
der Charakter des Buches ist wesentlich geändert: Die Kritik, die in der ersten Auflage
noch einen breiten Raum einnahm, ist fast völlig verschwunden, und Strohal
hat dafür der Dogmatik einen ungleich breiteren Raum zugewiesen. Mit der er-
schienenen Literatur hat sich der Verfasser, vorwiegend in Form von Anmerkungen,
in ausgiebiger und fördernder Weise auseinandergesetzt. Uebrigens ist der Grund-
charakter des Buches geblieben, s. das XIII, 135 Gesagte. Es ist durch her-
vorragenden Scharfsinn und eindringende Vertiefung in die schwierigen Einzel-
fragen, zu denen das Gesetz Anlaß giebt, ausgezeichnet; eine besondere Vorliebe
tritt für die Aufführung und Entscheidung absonderlicher, komplizirter Fälle
hervor. Dagegen fehlt 'eine - Mittheilung der historischen Anknüpfungen, und
auf die grundlegenden allgemeinen Prinzipien des Erbrechts wird minder aus-
führlich eingegangen, als vielleicht wünschenswerth gewesen wäre. Gerade darum
ist die Lektüre der Arbeit nicht immer leicht; es stellt an die Aufmerksamkeit
des Lesers große Ansprüche, dem Verfasser überall auf den oft recht schmalen
Pfaden seiner schwierigen Einzeluntersuchungen zu folgen. So scheint mir das
Buch, so trefflich es ist, in der Hand des Studirenden und sonstigen Anfängers
in der Erforschung des neuen Rechtes ein minder geeignetes Werkzeug, als in
der des gereifteren Kenners.
Was Verfasser im Einzelnen giebt, ist meist des Beifalls und überall der
allgemeinsten Beachtung werth. Hier kann nur auf einzelne von ungefähr
herausgegriffene Einzelpunkte hingewiesen werden: S. 50 legt Verfasser gut
dar, daß der im 8 2050 Abs. 1 gebrauchte Ausdruck „Ausstattung" nur als
kurze Bezeichnung für diejenigen Zuwendungen dienen solle, welche der Erb-
lasser einem Abkömmling unter den im § 1624 angegebenen Umständen gemacht
hat. S. 177 wird treffend nachgewiesen, daß der „Widerrnfseffekt" des Testa-
ments Widerrufsfähigkeit im entscheidenden Zeitpunkte voraussetze. S. 908ff.
wird mit durchschlagendeil Gründen gegenüber der herrschenden Meinung die
auch von mir in diesen; Archiv bereits früher verfochtene Lehre erwiesen, daß
die Ausschlagung eines der Erbeserben den frei werdenden Theil den anderen
Erbeserben, nicht den anderen Erben zufallen läßt. Auch das über (und gegen)
die Verantwortlichkeit des Erben für das Verschulden des Nachlaßpflegers S- 323
Gesagte scheint mir überzeugend. In der Frage nach der Haftung des Erben
für die Nachlaßverbindlichkeiten vertritt der Verfasser auch diesmal, und zwar mit
weiter ausholender Begründung, den m. E. zutreffenden Standpunkt, daß die-
selbe grundsätzlich eine unbeschränkte und nur durch Verwendung verschiedener
Mittel beschränkbare sei; S. 406, 44 2 ff. Von besonderem Interesse sind auch
die subtilen Untersuchungen zu den 88 2315—2316, S. 248 ff., 264.
Bedenklich scheint mir dagegen die gegenüber anderen Interpreten auf-
rechterhaltene Behauptung S. 61, wonach die beim - holographischen Testamente
vom Erblasser in Betreff des Ortes und Tages gemachten Angaben nicht mit
dem wirklichen Orte und Tage der Errichtung übereinstimmen müssen. Da-
bei kommen doch die nicht fern liegenden inneren Gründe dieser gesetzlichen
Datirungsvorschrist in keiner Weise zu ihrem Rechte (Kontrollmöglichkeit darüber,

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