Full text: Kritische Ueberschau der deutschen Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (Bd. 6 (1859))

328 Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens rc.
zu seinem Urtheile bestimmte. Man könne daher wohl Beweis-
verhandlungen vor dem Obergetichte wiederholen, aber nicht die-
selben. Man könne also zwar dem Obergerkchte die Befugniß
beilegen , seine Auffassung der Thatfrage an die Stelle der unter-
gerichtlichen zu setzen, aber nicht als Ausstuß einer prüfenden ober-
richterlichen Thätigkeit.
Bei den Rechtsmitteln gegen die Beschlüsse wegen Einstellung
der (geschlossenen) Voruntersuchung oder Fortstellung zur Haupt-
verhandlung will der Vers, dem Oberrichter das Eingehen auf die
Thatfrage auch dann, wenn nur die Rechtsfrage angefochten ist,
gestatten, was wir auf den Fall, daß zur Entscheidung der letzteren
ein Rückgehen auf den sonstigen Aeteninhalt nöthig ist, beschränken
würden, insoweit auch damit einverstanden, daß der Oberrichter
nicht an die in dem Beschlüsse des Unterrichters zusammengestellten
Ermittelungen der Voruntersuchung gebunden ist. Denn das Hin-
derniß der Mündlichkeit, welches die gleiche Berechtigung des
Oberrichters bei den Rechtsmitteln gegen die Enderkenntnisse aus-
schließt , steht hier nicht entgegen. Ebenso kann hier von einer
rekoruiutio in durius nicht die Rede seyn, wo noch keine Ent-
scheidung ertheilt wird, welche den Parteirechten oder der künftigen
Endentscheidung präjudiciren könnte.
In Bezug auf die Wiederaufnahme gegen ein rechtskräftiges
Erkenntniß und die Competenz des zur Entscheidung über den dieß-
fallsigen Antrag berufenen Gerichts können wir nicht durchgängig
dem gelehrten Herrn Verf. beitreten und möchten auf den Ge-
danken aufmerksam machen, welcher den einschlagenden Bestim-
mungen der K. Sächs. Straf-P.-O. unterliegt. Ein solcher An-
trag ist nur zulässig, wenn die Thatsachen, auf welche er gestützt
ist, in offenbaren und entschiedenen Widerspruch mit den That-
sachen treten, auf denen das rechtskräftige Erkenntniß beruht; also,
wenn der Oberrichter im Falle der Berufung bei der Kenntniß
dieser Thatsachen das gedachte Erkenntniß reformirt, beziehentlich
nicht ertheilt haben würde. Bei der Berufung wie bei der Wieder-
aufnahme handelt es sich gleichmäßig um die Behauptung und
Nachweisung dieses Widerspruchs, tiut die processualen Voraus-
setzungen sind verschieden. Es können daher Thatsachen, welche
zur Begründung einer Berufung benutzt werden konnten, aber,
wenngleich dem Appellanten bekannt, nicht benutzt worden sind,

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