Full text: ¬Der Gerichtssaal (Jg. 27 (1875))

392 Soll im Falle der Freisprechung für die Untersuchungshaft rc.
abgeleitet werden könne; eine vielseitigere Untersuchung der
Frage wird vielleicht juristische Gesichtspunkte zu Tage fördern, die
in Verbindung mit der Ausgestaltung der Rechtssprechung in Sachen
des öffentlichen Rechts Anhaltspunkte zur theoretischen Motivirung
der fraglichen Pflicht des Staates bieten werden*), allein derzeit
müssen wir sagen: nondum liquet, und hätten gewünscht, daß Herr
Rechtsanwalt Niemeyer sein nondum liquet (Verhandlungen,
II. Band S. 195) in diesem Sinne ausgesprochen hätte**). So
sehr es einerseits über allen Zweifel erhaben ist, daß jede gesetz-
widrige, sei es dolose oder culpo8e verhängte oder verlängerte Haft
den betreffenden Beamten und eventuell den Staat ersatzpflichtig

*) Die von Obertribunalrath Köstlin in seinem Gutachten an den
zwölften deutschen Juristentag (Verhandlungen, II. Band S. 330) mit-
getheilten Motive der württembergischen Gesetzgebungscommission zur Ab-
lehnung des Antrags auf Ausnahme der staatlichen Entschädigungspflicht
für alle Fälle der Freisprechung in die St.P.O. sprechen sich in gleicher
Richtung aus: „Wentt in Zukunft einmal die Auffassung dahin geht, daß
der Staat für jedes Opfer, das er, wenn auch, in Anwendung allgemeiner
Grundsätze, von dem Einzelnen beansprucht, zu entschädigen habe, so würde
allerdings auch in Fällen, wie der vorliegende, ein Entschädigungsanspruch
anerkannt werden."
**) Es ist das große Verdienst des Juristentages, wie in vielen anderen
noch nicht spruchreifen Gesetzgebungsfragen, auch in der hier vorliegenden
Frage eine mächtige Anregung gegeben zu haben. Justizrath vr. Mayer
sagt dießsalls: „...ich bin auch niemals im Zweifel darüber gewesen, daß
der Werth solcher Versammlungen gerade vorzugsweise dann zu Tage tritt,
wenn sie anregend für die neue Weiterbildung des Rechts thätig sein können.
Ich glaube, es ist eine nicht undankbare Aufgabe, welche der Juristentag
sich gestellt hat, indem er Veranlassung genommen hat, sich mit dieser
ziemlich neuen Frage des Rechts zu beschäftigen" (a. a. O. S. 182).
Eben um deswillen ist es auch nicht zu bedauern, daß der elfte Juristentag
noch nicht in die Lage kam, seine Rechtsüberzeugung zu formuliren; denn
aller Voraussicht nach hätte die einmal vorschnell ausgesprochene Ansicht
bald einer neuen oder modificirten Ueberzeugung weichen müssen, eine Voraus-
sicht, die um so weniger ausgeschlossen war, als im Gebiete dieser Frage nur
wenig vorgearbeitet ist. Inzwischen ist das Material durch die Gutachten
der Herren Prof. Nissen in Straßburg (a. a. O.) und Obertribunalrath
Köstlin in Stuttgart (a. a. O.) theils in theoretischer, theils .in praktisch-
legislativer Richtung wesentlich bereichert worden.

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