Von Dr. Karl Hiller.
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Umstünden auch nicht annehmen können, daß er sich der Vornahme
einer Amtshandlung widersetze. Der Grund der Straflosigkeit
liegt also hier keineswegs in dem Fehlen des dienstlichen Abzeichens
selbst, sondern vielmehr in dem dadurch bewirkten Jrrthum des
Thäters, und die Strafe der Widersetzung wird ihn gleichwohl treffen,
wenn der Beweis erbracht wird, er habe trotz des Umstands, daß
der Beamte Uniform oder Dienstzeichen nicht trug, die fraglichen
Thatbestandsmomente gekannt.
Was übrigens den Beweis des hier in Rede stehenden Jrr-
thums selbst angeht, so liegt er nach den Grundsätzen des Reichs-
strafrechts durchaus nicht dem Beschuldigten ob; die Beweislast
trifft ihn nicht, und die Annahme, daß, wenn er den Beweis jener
Unkenntniß nicht führt oder nicht zu führen im Stande sei, ihn die
Strafe träfe, ist gegenüber dem deutlichen Ausspruch der Motive
zu 8- 59 d. R.St.G.B. nicht haltbar. Dort heißt es (S. 76):
„Der Wortlaut des Paragraphen könnte zwar Veranlassung für
die Annahme bieten, daß wenn ein Angeklagter behauptet, die in
Rede stehenden Umstände oder Eigenschaften nicht gekannt zu haben,
ihm auch der Beweis für die Unkenntniß obliegt. Der 8- 59 geht
aber davon aus, daß in einem solchen Falle der Angeklagte nicht
seine Unkenntniß zu beweisen habe, sondern gegen den Angeklagten
der Beweis zu erbringen sei, insofern nach Lage der Sache der
erhobene Einwand überhaupt in Frage kommen kann." Es ist also
auch hier die Sache des Richters, ex officio die geeigneten Erhebungen
zu pflegen und eventuell den Jrrthum des Beschuldigten festzustellen?)
Ungleich schwieriger ist die Frage nach der Wirkung, welche der
Jrrthum des Thäters über die Rechtmäßigst der Amts-
ausübung auf die Strafbarkeit der Widersetzung äußert. Dieser
Jrrthum erscheint seiner Natur nach als sog. Rechtsirrthum im
engeren Sinn oder uneigentlicher Rechtsirrthum.
Man versteht nämlich unter Rechtsirrthum einerseits die (uns
hier nicht weiter interessirende) Unkenntniß des Strafgesetzes,
d. h. den Jrrthum über das Verbotensein oder die Strafbar-
keit der That (error s. ignomntio juris, Rechtsirrthum i. w. S.),
^ ppenhof f, Comment. §. 59, n. 20.