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XIV. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1909 Nr. 13.
der Halter als der Führer des Fahrzengs jede nach den
Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat.“
Der Begriff des unabwendbaren Ereignisses im
Sinne des Absatzes 2 ist sehr viel weiter als der
Begriff der höheren Gewalt, welche nach dem
Reichshaftpflichtgesetze die Ersatzpflicht ausschließt.
Unter höherer Gewalt ist zu verstehen ein von
außen her wirkendes unabwendbares Ereignis. Das
Reichsgericht hat indessen diesen Begriff immer
mehr eingeengt, besonders seit es zu der Praxis
übergegangen ist, alle solche Fälle, welche sich mit
einer gewissen Regelmäßigkeit wiederholen, ganz
auszuschalten. Im Absatz 2 des vorliegenden Ge-
setzes wurde im Gegensatz zu einigen Anträgen der
Begriff des Von-außen-her-Wirkens fortgelassen.
Der Absatz 2 bezieht sich also nicht nur auf äußere
Ereignisse, und es kommt auch nicht darauf an,
ob sich die betreffenden Arten von Unfällen häufig
wiederholen oder nicht. Es genügt, daß der Halter
und der Führer des Fahrzeugs trotz Beobachtung jeder
nach den Umständen des Falles gebotenen Sorgfalt
den Unfall nicht ab wenden konnten. Um alle
Zweifel auszuschließen, erwähnt der Gesetzgeber
den Fall, wo der Unfall „auf das Verhalten des
Verletzten“, also nicht nur auf sein „Verschulden“
zurückzuführen ist. Hiernach begründen Unfälle,
welche sich Kinder unter sieben Jahren oder Geistes-
kranke durch ihr unvorsichtiges Verhalten zuziehen,
keine Ersatzpflicht, während in solchen Fällen weder
von einem Verschulden noch von einer höheren Ge-
walt die Rede sein kann. Ferner scheiden aus die
zahlreichen Unfälle, welche durch einen Dritten oder
durch ein Tier verursacht werden, während die Eisen-
bahnen in solchen Fällen regelmäßig haften müssen.
Nach § 18 ist in den Fällen des § 7 Abs. 1
neben dem Fahrzeughalter auch „der Führer des
Kraftfahrzeugs“ zum Ersatz des Schadens gemäß
§§ 7—15 des Gesetzes verpflichtet. Die Ersatzpflicht
ist jedoch ausgeschlossen, „wenn der Schaden nicht
durch ein Verschulden des Führers verursacht ist“.
Wird ein Schaden durch mehrere Kraftfahrzeuge
verursacht oder haftet neben dem Fahrzeughalter
noch eine Eisenbahn oder ein Tierhalter, so haften
die verschiedenen Verpflichteten dem Verletzten
gegenüber, wie in der Begründung der Vorlage
ausdrücklich hervor gehoben wird, gemäß § 840 BGB.
als Gesamtschuldner. Im Verhältnis zueinander
haben die einzelnen Ersatzpflichtigen den Schaden
in dem Umfange zu tragen, als der Schaden vor-
wiegend von dem einen oder dem andern Teile
verursacht worden ist (§ 17). „Das Gleiche gilt,
wenn der Schaden einem der beteiligten Fahrzeug-
halter entstanden ist, von der Haftpflicht, die für
einen anderen von ihnen eintritt“ (§17 Abs. 1
Satz 2). Nach demselben Grundsätze wird der
Schaden verteilt, wenn bei der Entstehung des
Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt
hat. In § 9 wird für diesen Fall im Einklänge mit
der herrschenden Praxis festgesetzt, daß der § 254
BGB. Anwendung findet; dabei wird ferner be-
stimmt, „daß im Falle' der Beschädigung einer Sache
das Verschulden desjenigen, welcher die tatsäch-
liche Gewalt über die Sache ausübt, dem Ver-
schulden des Verletzten gleichsteht“ (§ 9 a. E.).
Endlich enthält der Abschnitt 2 noch Vor-
schriften über den Gerichtsstand (§§ 19 und 20)
und über die Verjährung (§ 14). Bemerkenswert
ist die Bestimmung, daß der Ersatzberechtigte inner-
halb zweier Monate, nachdem er von dem Schaden
und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis er-
halten hat, dem Ersatzpflichtigen den Unfall an-
zeig en muß (§ 15). Diese Vorschrift wurde für
nötig erachtet, weil es dem Automobilhalter, wenn
er erst nach vielen Monaten von dem Unfälle
Kenntnis erhält, in der Regel nicht mehr möglich
sein wird, die zu seinen Gunsten sprechenden Be-
weismittel zu beschaffen.
Von den Straf Vorschriften (Abschnitt III §§ 21
bis 25) bezieht sich der § 21 auf Zuwiderhandlungen
gegen Polizei-Vorschriften und bedroht sie mit Geld-
strafe bis zu 150 M. oder mit Haft, während jetzt
nach § 366 Nr. 10 des RStrGB. nur auf Geldstrafe
bis zu 60 M. oder Haft bis zu 14 Tagen erkannt
werden kann. Geldstrafe bis zu 300 M. oder Ge-
fängnisstrafe bis zu 2 Monaten tritt ein, wenn sich
der Führer eines Kraftfahrzeuges nach einem Un-
fälle der Feststellung des Fahrzeuges und seiner
Person durch die Flucht zu entziehen sucht (§22
Abs. 1). Gefängnisstrafe bis zu 6 Monaten tritt
ein, wenn der Führer die verletzte Person in hilf-
loser Lage verläßt (§ 22 Abs. 2), bei mildernden
Umständen kann jedoch auf Geldstrafe bis zu 300 M.
erkannt werden. Die §§ 23—25 beziehen sich auf
Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des
ersten Abschnitts über die Zulassung von Kraft-
fahrzeugen zum Verkehr, über Fahrerlaubnis und
Führerschein sowie die Kennzeichnung der Fahrzeuge.
Im letzten Paragraphen (§ 26) wird bestimmt,
daß die Vorschriften über die Haftpflicht (Teil II)
mit dem 1. Juni 1909, die Teile I und III mit dem
1. April 1910 in Kraft treten. Diese verschiedenen
Zeitpunkte sind gewählt, weil der Reichstag ein
möglichst schleuniges Inkrafttreten der Vorschriften
über die Haftpflicht wünschte, während das Inkraft-
treten der Verkehrs Vorschriften (Teil I) erst möglich
ist, nachdem dazu allerlei Ausführungsbestimmungen
erlassen sein werden. Die Strafvorschriften, welche
z. T. in einem engen Zusammenhänge mit den Ver-
kehrsvorschriften stehen, können ebenfalls erst mit
diesen in Kraft treten.
Die Zweckmäßigkeit der in dem neuen Gesetze
enthaltenen Verkehrs- und Straf Vorschriften wird
wohl allgemein anerkannt. Streit herrscht dagegen
über die Haftpflichtbestimmungen. Von der einen
Seite wird es als ungerecht bezeichnet, daß dem
Automobilhalter und dem Automobilführer überhaupt
eine besondere Haftpflicht auferlegt ist, während von
anderer Seite die Haftpflicht für nicht weitgehend
genug gehalten wird. Die Beschränkung der Haftung
auf eine bestimmte Summe und die beiden Aus-
nahmen des § 8 gaben deshalb zu heftigen Streitig-
keiten Veranlassung. Ferner wurde von Freunden