Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

7.1.11. Ehescheidung wegen Geisteskrankheit

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 1.

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Epoche nötig. Andernfalls sie jedes Geschäftsjahr
kündbar wäre. Hier muß die G. m. b. H. nach-
geben. Sie kann in gleicher Weise wie die KomGes.
kündbar gemacht werden. Beide Kündigungen müssen
wieder verbunden sein. Man kann entweder jede
einzelne auch mit Wirkung für die andere aus-
statten. Oder man verlangt zur Wirksamkeit der
einen zugleich die Kündigung der anderen Gesell-
schaft. Bei einem Auflösungsbegehren aus wichtigen
Gründen darf eine Beschränkung nicht stattfinden.
Hier muß man sich begnügen, jede solche Auf-
lösung der einen zur Auflösung der anderen auch
ohne ein darauf gerichtetes Begehren zu machen.
Die Zukunft wird manch interessante Aufgabe
für die Ausarbeitung der Verträge und für die richter-
liche Würdigung der Intentionen der Parteien bringen.
Es ist nicht anzunehmen, daß die Gesetze die Be-
steuerung der G. m. b. H. und ihrer Gesellschafter
wieder aufgeben werden. Man wird daher mit der
Ausdehnung des Versuches, sie zu vermeiden, rechnen
müssen.

Ehescheidung wegen Geisteskrankheit.
Vom Geh. Rat, Professor Dr. med. O. Binswanger, Jena.
Der § 1569 BGB., der die Voraussetzungen zur
Ehescheidung wegen Geisteskrankheit enthält, um-
faßt sicherlich die schwierigste und umstrittenste
Materie auf juristischem und ärztlichem Gebiete.
Es sind in diesem Paragraphen vier verschieden-
artige Bedingungen der ärztlichen Begutachtung und
richterlichen Entscheidung unterstellt: 1. die Vor-
aussetzung, daß die Geisteskrankheit im juristisch-
technischen Sinne zur Zeit der Erhebung der
Scheidungsklage vorhanden ist; 2. wird gefordert,
daß die Krankheit während der Ehe mindestens drei
Jahre gedauert habe; 3. ist der Nachweis zu liefern,
daß die geistige Gemeinschaft zwischen den Ehe-
gatten infolge der bestehenden Geisteskrankheit auf-
gehoben ist, und 4. muß jede Aussicht auf Wieder-
herstellung dieser Gemeinschaft ausgeschlossen sein.
Ich will mich hier darauf beschränken, vom
Standpunkte des Psychiaters für Juristen, den 3.
und 4. Punkt einer Erörterung zu unterziehen, da
in ihnen die notwendigen Zusammenhänge zwischen
juristischer und ärztlicher Denkweise am klarsten
zutage treten.
Hinsichtlich der 3. Forderung: Aufhebung
der geistigen Gemeinschaft, ist die Sachlage
heute soweit geklärt, daß durch eine streng in-
dividualisierende, die geistigen Beziehungen beider
Ehegatten berücksichtigende Untersuchung des Krank-
heitsfalls vom ärztlichen Standpunkte aus eine Ent-
scheidung über die Frage, ob die geistige Gemein-
schaft auf Grund der Geistesstörung aufgehoben sei,
getroffen werden kann. Diese Klärung verdanken
wir der neueren Judikatur des Reichsgerichts. Die
weitgehenden Meinungsverschiedenheiten, die nach
Inkrafttreten des BGB. über die begriffliche Auf-
fassung der „geistigen Gemeinschaft“ in den Ur-
teilen der Oberlandesgerichte zutage getreten sind,

mögen hier übergangen werden.*) Wir knüpfen direkt
an die Reichsgerichtsentscheidung v. 8. Mai 1905 an.
Dort wird zuerst klar ausgesprochen, daß für
das Zutreffen des Begriffs der Aufhebung der geistigen
Gemeinschaft die Empfindung des geisteskranken
Ehegatten nicht in Betracht kommt; dann wird fest-
gestellt, daß im § 1569 nur die Unmöglichkeit, die
geistige Gemeinschaft zwischen den Ehegatten zu
pflegen, zur Voraussetzung der Ehescheidung gemacht
sei. Es wird als ein besonderes Unterschiedsmerkmal
gegenüber den Fällen des sog. geistigen Todes, der
völligen Verblödung, hervorgehoben, daß der geistes-
kranke Ehegatte unter Umständen die Fähigkeit
haben kann, mit irgendwelchen Personen irgend-
welche geistige Gemeinschaft zu pflegen. In Kon-
sequenz dieser Auffassung wird die Anwendung des
§ 1569 auch nicht bei nur partiellem Wahnsinn und
nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil dem geistes-
kranken Ehegatten noch die Fähigkeit verblieben
ist, die meisten bürgerlichen und Vermögens-
angelegenheiten zu besorgen. Die Schlußsätze dieser
Entscheidung, welche den Begriff der geistigen Ge-
meinschaft schälfer präzisieren, seien hier wörtlich
wiedergegeben:
„Auch der Begriff der geistigen Gemeinschaft ist nicht
verkannt, wenn inUebereinstimmung mit der Rechtsprechung
des Königreichs Sachsen darunter eine höhere Gemeinschaft
als das bloße Zusammenleben der Eheleute, nämlich eine
solche verstanden wird, wobei sie zu gemeinsamem Fühlen
und Denken befähigt sind. Umgekehrt ist aber auch der
Fortbestand der geistigen Gemeinschaft nicht schon damit
dargetan, daß die geisteskranke Frau noch weiß, sie stehe
in der Ehe und aus dem Ehebunde kommen ihr gewisse,
zum Teil Unterhaltungsrechte zu.“
Wenn auch durch diese Entscheidung die Periode
der widerstreitenden Urteile, vor allem die Auf-
fassung von der Notwendigkeit des geistigen Todes
bei Erhebung der Scheidungsklage, endgültig über-
wunden ist, so bleiben trotzdem noch manche
Schwierigkeiten übrig. Sie entspringen aus der Un-
sicherheit in der Urteilsfindung, die durch die zahl-
losen individuellen Abstufungen und Variationen
der psychischen Krankheitszustände bedingt sind.
So leicht es ist, den Nachweis zu liefern, daß die
geistigen Interessen, die Verfolgung gemeinsamer
Lebensziele und insbesondere der sittlichen Zwecke
der Ehe durch die Krankheit des einen Ehegatten aufs
schwerste geschädigt sind, so mühevoll wird es unter
Umständen sein, die völlige und dauernde Aufhe-
bung dieser geistigen Gemeinschaft auszusprechen.
Diese Schwierigkeiten werden sofort verständ-
lich, wenn wir einen kurzen Ueberblick über die
für die Ehescheidungsklage in Frage kommenden
Geistesstörungen geben.
Unbestreitbar gehören hierher die schweren
organischen Erkrankungen des Gehirns,
welche schon in das Stadium der völligen geistigen
Verblödung eiu getreten sind. Ich erwähne hier an
erster Stelle die progressive Paralyse der Irren
in ihren fortgeschrittenen Stadien. Aber auch andere
syphili ische Gehirnkrankheiten bieten als Schluß-
bilder des Zerstörungsprozesses der Gehirnsubstanz
*) Vgl. Tunica, Die Ehescheidung des BGB. Berlin 1911.

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