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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 21.
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ratur gibt verschiedene Auslegungen. Auch bringt
das moderne Wirtschaftsleben täglich neue Gebilde
hervor, die nach Inhalt, Form und Fassung stets
verschieden sind. Nachfolgend sei daher eine Ueber-
sicht zu der Frage gegeben.
Nach §§ 21, 22 BGB. sollen die beiden Vereins-
arten danach unterschieden werden, ob ihr Zweck
auf einen nichtwirtschaftlichen (§ 21) oder einen
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist. Da
das Gesetz eine nähere Begriffsbestimmung nicht
gibt, so hat die Frage, welcher Verein die Merkmale
des wirtschaftlichen bzw. des nichtwirtschaftlichen,
des sog. „idealen" Vereins enthält, in der Literatur
und in der Praxis eine verschiedenartige Beant-
wortung gefunden.
Die Schriftsteller, die zu dieser Frage Stellung
genommen haben, lassen sich im wesentlichen in
zwei Hauptgruppen scheiden: die eine stellt den
Begriff des wirtschaftlichen Vereins lediglich auf
den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb, die andere
außerdem noch darauf ab, ob der Verein auch einen
wirtschaftlichen Endzweck hat.
Nach der ersten Ansicht ist der Zweck des
Vereins dann auf einen wirtschaftlichen Geschäfts-
betrieb gerichtet, „wenn die Erlangung wirtschaft-
licher Vorteile oder die Abwendung wirtschaftlicher
Nachteile geschäftsmäßig betrieben wird".1) Maß-
gebend ist danach lediglich, daß der Verein einen
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb hat; welches da-
gegen das Ziel des Vereins ist, ob er ideale oder
materielle Interessen verfolgt, insbesondere, ob er
wirtschaftliche Vorteile für seine Mitglieder erstrebt
oder nicht, kommt für die Bestimmung der Vereinsart
nicht in Frage. Demgemäß würde ein Verein, dessen
Ziel die Förderung idealer Interessen ist, ein wirtschaft-
licher sein, wenn er dieses Ziel unter Zuhilfenahme eines
wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes zu erreichen sucht.
Planck2) begründet diese An sicht aus dem Wortlaut so-
wie dem Zweck des Gesetzes (Schutzbedürfnis der Gläu-
biger wegen Umfangs und Art des Geschäftsbetriebes.)
Diese Ansicht wird m. E. dem Gesetze nicht
gerecht. Die Vertreter derselben können sich auf
den Wortlaut des Gesetzes nicht berufen, denn dieser
verlangt nicht nur einen wirtschaftlichen Geschäfts-
betrieb, sondern auch einen darauf gerichteten
Zweck; letzteren aber schalten jene bei ihrer Be-
griffsbestimmung völlig aus. Auch die Begründung
aus der ratio des Gesetzes ist m. E. nicht durch-
schlagend. Denn auch von den Vertretern der
Gegenansicht wird der Zweck des Gesetzes mit Be-
rechtigung herangezogen.3)
Ein Teil der Rechtsprechung ist obiger Ansicht
gefolgt. Sie ist — hauptsächlich unter Benutzung
der von Planck aufgestellten Begriffsmerkmale —
u. a. den Beschlüssen des OLG. Stuttgart v. 23. März
1900 und des LG. Hanau v. 9. Febr. 19004) zu-
grunde gelegt.
r) So insbes. die Lehrb. u. Kommentare v. Planck, Rehbein,
Neumann, Crome und Levis, 1901 S. 479 DJZ.
2) Bern. 2 zu § 21 S. 94.
s) Vgl. u. a. Enneccerus.
4) DJZ. 1900 S. 188.
Die Vertreter der zweiten Hauptgruppe1) ver-
langen für den Begriff des wirtschaftlichen Vereins
außer dem wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb auch
einen wirtschaftlichen Zweck. Sie stimmen insoweit
überein, daß ein wirtschaftlicher Verein dann vor-
liege, wenn er einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb
hat, zugleich aber auch durch das Mittel dieses
wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes als Endzweck
wirtschaftliche Erfolge erreichen will. Danach wäre
also im Gegensätze zur oben dargestellten Lehre
ein Verein, der einen wirtschaftlichen Geschäfts-
betrieb hat, die hierdurch erlangten Mittel aber zur
Erreichung seiner idealen Zwecke zu verwenden
beabsichtigt, ein nichtwirtschaftlicher Verein.
Diese letzte Ansicht ist ra. E. die richtige. Sie
wird zunächst dem Wortlaut des Gesetzes mehr ge-
recht, indem sie „Zweck" und „wirtschaftlichen
Geschäftsbetrieb“ berücksichtigt. Mit Recht mißt
sie nicht dem Geschäftsbetrieb, sondern dem Zweck,
d. h. dem Endzweck, ausschlaggebende Bedeutung
bei, da der Geschäftsbetrieb nie Selbstzweck, sondern
stets nur Mittel zur Erreichung des wirklichen
Zweckes sein kann.2) Die Richtigkeit dieser Ansicht
wird auch durch die Entstehungsgeschichte der
§§ 21, 22 BGB. unterstützt. Denn § 21 des Entw. III
zum BGB. bezeichnte als nichtwirtschaftliche Ver-
eine „die Vereine zu gemeinnützigen, wohltätigen,
geselligen, wissenschaftlichen, künstlerischen oder
anderen, nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäfts-
betrieb gerichteten Zwecken.“ Diese Auffassung
wurde auch von den Mitgliedern der Reichstags-
kommission3) geteilt, die zwar die jetzige knappe
Fassung beschloß, eine sachliche Aenderung damit
jedoch nicht beabsichtigte.4) Daraus geht hervor,
daß nach der Auffassung der Verfasser des Entw.
wie der Kommissionsmitglieder die Tendenzen des
Vereins, nicht aber lediglich das Mittel zu ihrer
Verwirklichung, maßgebend sein sollten. Dem wider-
spricht aber die Ansicht der ersten Hauptgruppe;
denn nach dieser würden z. B. die Wohltätigkeits-
vereine, welche die erforderlichen Mittel durch einen
wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb zu erlangen suchen,
wirtschaftliche sein, während nach der letzten An-
sicht Vereine mit derartigen Bestrebungen, wie sie
in § 21 des Entw. III aufgezählt sind, sämtlich als
nichtwirtschaftliche Vereine anzusehen sind.
Diese in ihren Grundzügen richtige Ansicht
der zweiten Hauptgruppe bedarf jedoch noch der
näheren Umgrenzung.
Nicht richtig ist es m. E., wenn einige für den
Begriff des wirtschaftlichen Vereins des weiteren
verlangen, daß die wirtschaftlichen Erfolge zunächst
lediglich für den Verein als solchen, der sie
dann erst seinen Mitgliedern wieder vermittelt, er-
1) Vgl, Staudinger, Enneccerus, Dernburg, Ende-
mann, Cosack, Leonhard. Goldmann-Lilienthal, Gierke,
v. Bose-Hallbauer, Meurer, Wiedemann, Samter, Oppen-
heimer, Best; sowie aus der Praxis u. a. Beschluß des OLG. Ham-
burg v. 7. Juni 1907 und Urt. dess. Gerichts v. 26. Okt. 1906 (Rspr.
OLG. Bd. 15 S. 323 u. Bd. 14 S. 6-8).
2) So auch zutreffend Enneccerus.
3) Prot, der Komm, für die II. Lesung des Entw. zum BGB.
Bd. I S. 498, 499.
0 Vgl. Planck Bern. 1 zu § 21 u. Staudinger zu § 21 IV.