23.2.
Juristische Rundschau
Von Rechtsanwalt Dr. Hachenburg, Mannheim
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XVni. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 18.
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sie ihm bei seiner seltenen Bescheidenheit nur als
ein Beweis dafür, daß sein Streben und Mühen, der
Menschheit sein Bestes zu geben, nicht ganz ver-
geblich gewesen sei. Have anima candida!
Senatspräsident, Professor Dr. Harburger, München.
Juristische Rundschau.
Der Friede von Bukarest hat den zweiten
Balkankrieg zwischen den ehemaligen Verbün-
deten beendet. Ein völkerrechtlicher Gesellschafts-
vertrag war vor Beginn des Türkenkrieges zwischen
Serbien und Bulgarien geschlossen worden. Er
regelte die Gewinnverteilung. Die Verhältnisse
veränderten sich. Die Abrede paßte nicht mehr.
Bei einem zivilrechtlichen Vertrag hätte das Gericht
eine Ergänzung nach Treu und Glauben vorgenommen.
Der Völkerverkehrssitte entsprach heute noch das
Gottesurteil des Krieges. Bulgarien betrachtet es
nur als unter Vorbehalt ergangen. Das Protokoll
beginnt zwar mit der üblichen Versicherung, daß
nun Friede und Freundschaft herrschen soll. Man
wird nicht erstaunt sein, wenn das später wieder er-
starkte Bulgarien eine Wiederaufnahme betreibt.
Im August erfolgte die erste Verhandlung
der Angelegenheit Krupp. Angeklagt vor dem
Kriegsgericht waren die Militärbeamten, durch die
dem Berliner Bureau der Firma Krupp die Mitteilungen
zugeflossen waren. Man bedauert ihr Geschick. Sie
haben nicht in schlimmer Absicht gehandelt. Aber
das Urteil war notwendig. Gut war die Durchführung
der Oeffentlichkeit. Musterhaft das Verhalten der
großen Presse. Interessant, daß in den Plädoyers des
Vertreters der Anklage und der Verteidiger die Firma
Krupp unwillkürlich in den Vordergrund geschoben
wurde. Jener griff sie an, diese wehrten ab. Die
demnächst zu erwartenden Verhandlungen vor den
Zivilgerichten werden weitere Aufklärung bringen.
Das Urteil des Erfurter Kriegsgerichts
gegen die Reservisten und Landwehrleute wegen
Aufruhrs, begangen am Tage der Kontrollversamm-
lung, ist vom Oberkriegsgericht abgeändert.
Es bejahte zwar ebenfalls den Tatbestand des Auf-
ruhrs. Es bewilligte den Angeklagten aber die
mildernden Umstände. An Stelle des Zuchthauses
trat das Gefängnis. Das Vorgehen des Reichstages
hat seine Früchte getragen. Eigenartig war die Auf-
fassung des Vertreters der Anklage von der Be-
deutung der Kontrollversammlung. Die Leute sollten
sich an diesem Tage wieder als Soldaten fühlen.
Daß die Angeklagten darin versagten, machte er
ihnen zum Vorwurf. Man wird im Gesetz schwerlich
einen Anhalt für diese Ansicht finden. Die Kontroll-
versammlung dient nur dem praktischen Zwecke
der Feststellung der Anwesenheit der Wehrpflichtigen.
Ein soldatisch-ethisches Moment ist ihr fremd.
Das apostolische Gericht der rota zu Rom
hat die Ungültigkeit der Ehe des Grafen Boni de
Castellane mit der Amerikanerin Anne Gould aus-
gesprochen. Die Scheidung der Ehe durch die
französischen Gerichte war lange vorher erfolgt. Die
Ungültigkeit der Ehe nach kanonischem Rechte wird
damit begründet, daß die Beklagte bei Eingehung
der Ehe den Willen bekundete, protestantisch zu
bleiben, um sich die Möglichkeit der Scheidung zu
erhalten. Daher sei der Wille, eine wahre Ehe zu
schließen, nicht vorhanden gewesen. Die Logik mutet
heute etwas seltsam an. Es dürfte kaum ein Zivil-
richter wagen, ein Urteil auf solche Argumente zu
stützen. Aber ein System, das die Ehescheidung
grundsätzlich verwirft, wird notgedrungen zu solchen
Hilfsmitteln gezwungen.
Der Fernsprecher beginnt allmählich der
Rechtswissenschaft immer schwierigere Fragen
vorzulegen. Man erinnert sich an den Streit eines
Berliner Rechtsanwalts, dem wegen Beleidigung der
Beamten der Anschluß entzogen war. Besteht ein
Recht auf Gewährung der Teilnahme und wann
kann sie entzogen werden? ln der Dresdner Stadt-
verordnetenversammlung wurde eine angebliche
Drohung der Telegraphenverwaltung besprochen,
den Telephonverkehr der Stadt Dresden auf ein
Jahr zu sperren, wenn die Klagen über mangelnde
Telephonbedienung nicht aufhörten. Die Tele-
gräphenveiwaltung hatte diese Drohung nicht ge-
braucht. Aber die Frage war aufgerollt. Wäre das
Vorgehen gesetzmäßig erlaubt? In einem Zivil-
prozesse wurde durch einstweilige Verfügung des
OLG. einem früheren Angestellten, auf dessen Namen
das Telephon des Prinzipals erworben war, untersagt,
nach seinem Austritt diesen Anschluß für sein
Geschäft zu benützen. Die Telegraphen Verwaltung er-
klärte sich außerstande, dem zu entsprechen. Der
Teilnehmer habe ein unentziehbares Recht auf die
ihm zugewiesene Nummer. Es wäre wohl der Mühe
wert, wenn eine prinzipielle Untersuchung des Rechts
am Fernsprecher sich mit diesen und ähnlichen
Fragen befaßte.
Der preußische Handelsminister hatte den
deutschen Handwerks- und Gewerbekammer-
tag ersucht, ihn über dieDi Skonti er ung derBuch-
forderungen zu unterrichten. Ebenso die Zentral-
stelle der deutschen Handwerkskammer. Nach dem
Gutachten stehen die Handwerker dieser Kreditform
abwartend und auch ablehnend gegenüber. Es ist
zu hoffen, daß dieser Standpunkt der Handwerker
erhalten bleibt. Die Herausholung auch dieses Ver-
mögensteils erschütterte die ohnedies nicht allzufeste
Kreditbasis des Kleingewerbes.
Der Kanton Zürich hat eine Zivilprozeß-
ordnung erhalten. Sie bietet für den, der sich mit.
der Neugestaltung des Prozeßrechts für Deutschland
beschäftigt, manches Lehrreiche. Radikal neue Ideen
hat sie nicht aufgenommen. Sie ist eine ruhige
Fortbildung des bestehenden Rechts. Für die mit
der Schweiz im Rechtsverkehr stehenden Nachbar-
staaten wäre das Interesse stärker, wenn die Schweiz
ein einheitliches Prozeßgesetz erhielte. Dann wäre
auch eine einheitliche Regelung der Rechtshilfe
zwischen Deutsctiland und der Schweiz zu erwarten.
Es dient nicht zur Erleichterung des Rechtsverkehrs,
wenn für jeden der 25 schweizer. Kantone untersucht
werden muß, ob er ein deutsches Urteil vollstreckt,
und wenn die Grundsätze, nach denen hier verfahren
wird, wieder von einander abweichen. Unmöglich
wäre es aber nicht, auch vor der Entstehung einer
schweizer. ZPO. einen Staatsvertrag zwischen Deutsch-
land und der Schweiz über die Gegenseitigkeit der
Vollstreckung herbeizuführen. Auch dieser ist ein
Stück des internationalen Rechts. Es zeigt zugleich
das Vertrauen, das jeder Vertragsstaat in die un-
parteiische Rechtspflege des anderen setzt.
Rechtsanwalt Dr. Hachenburg, Mannheim.