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XVIII. Jahrg. Deutsche* J irr i s t e n - Z e i t u n g. 1913 Nr. 18.
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— und zwar gerade in den bedeutenden — wird
man an ihre Beseitigung nicht denken; ja, der Ge-
danke liegt nicht fern, daß vielfach Verschärfungen
eintreten. Gab es doch schon Gemeinden, die zur
Reichssteuer gemäß § 59 des Ges. einen Zuschlag
erhoben!
Die Entscheidung darüber, ob eine bestimmte
Steuerart eingeführt werden soll, beruht im allge-
meinen nicht auf juristischen, sondern auf volks-
wirtschaftlichen Erwägungen. Aber gerade zugunsten
der Zuwachssteuer an Grundstücken sprechen
rechtspolitische Gründe, die bisher m. E. noch
nicht genügende Beachtung gefunden haben. So ist
das Reichszuwachssteuergesetz auch in seiner jetzigen
Gestalt geeignet, fast restlos die Frage zu lösen,
welche gesetzgeberischen Maßnahmen sich empfehlen,
um die Haftung des persönlichen Schuldners für den
Hypothekenausfall zu beschränken, wenn der Gläu-
biger seine Hypothek nicht herausgeboten und das
Grundstück weit unter dem Wert erstanden hat,
eine Frage, die der Danziger Juristentag (1910) noch
nicht für spruchreif erachtet hat1). Das ergibt sich
aus folgendem:
In § 9 des RGes. heißt es: „Beim Uebergang
im Wege der Zwangsversteigerung gilt als Preis
der Betrag des Meistgebots, zu dem der Zuschlag
erteilt wird, unter Hinzurechnung der vom Ersteher
übernommenen Leistungen. “ Wie die obersten
deutschen Verwaltungsgerichte übereinstimmend an-
nehmen, sind hier neben dem Meistgebot nur die
im Versteigerungsverfahren selbst, nicht die
nebenher durch private Abmachungen übernommenen
Leistungen in Betracht gezogen. Heutzutage spielen
aber solche privaten Abmachungen eine große Rolle.
Es wird oft unter den Hypothekengläubigern verab-
redet, daß einer von ihnen das Grundstück erstehen
und die übrigen auszahlen oder von neuem dinglich
sichern solle. Das Gebot, zu dem das Grundstück
zugeschlagen wird, ist in diesen Fällen nur gering.
Wenn später das Grundstück wieder veräußert wird,
so ist die Spannung zwischen Erwerbs- und Ver-
äußerungspreis außerordentlich groß, und die Ein-
ziehung der vollen Zuwachssteuer kann den bisherigen
Eigentümer zum wirtschaftlichen Untergang führen.
Angerechnet wird nur der Betrag der eigenen ausge-
fallenen Forderung (einschl. Zinsen und Kosten) des
Erstehers (14 Ziff. 2), und auch das fällt weg, wenn
etwa der Bürge oder der haftbare Vorbesitzer oder
der Ehegatte des Gläubigers das Grundstück ersteht.
Der Verkehr kann sich — allerdings nur für die
Zukunft — durch ein einfaches Mittel helfen: Man
gebe stets das Meistgebot so hoch ab, daß die Hypothek
des Erstehers, oder noch besser der gemeine Wert des
Grundstücks, gedeckt wird. Der Ersteher hat beim
Erwerbe in keinem Falle Zuwachssteuer zu entrichten
(§ 29 Abs. 2). Wohl aber wird bei diesem Verfahren im
Falle der Weiter Veräußerung seine Zuwachssteuer-
pflicht auf einen den wahren Wertverhältnissen ent-
sprechenden Betrag beschränkt. Die Gerichtskosten,
Reichs-, Landesstempel, Umsatzsteuer vermehren
*) Vgl. auch Schiffer S. 613 u. Gusinde S. 958 d. Bl.
sich nicht in dem Maße, in welchem voraussichtlich
Zuwachssteuer später gespart wird.1)
Wird so verfahren, so kann von unbilliger
Geltendmachung ausgefallener Forderungen gegen-
über dem persönlichen Schuldner nicht mehr die
Rede sein.
Weiter: Das Gesetz knüpft die Steuerpflicht regel-
mäßig an den (dinglichen) Eigentumsübergang (§ 1
Abs. 1). Der für die Steuerbemessung maßgebende
Zeitraum ist die zwischen dem früheren Erwerbe und
der jetzigen Veräußerung liegende, also von Eintragung
zu Eintragung laufende Zeitspanne. Für die Fest-
stellung des Wertzuwachses sind aber nicht etwa
die Werte maßgebend, die das Grundstück zur
Zeit des Erwerbs und der Veräußerung hatte,
sondern die Preise der schuldrechtlichen Verträge,
selbst wenn diese weit zurückliegen und die Ueber-
gabe der Auflassung lange vorangegangen ist (§ 8).
Das führt zu einer Reihe von Unstimmigkeiten, ja
Ungerechtigkeiten. Ein Hauptfall ist der, daß der
jetzige Veräußerer, ehe er seinerzeit die Auf-
lassung erhielt, aber nach der Uebergabe, ein
Bauwerk errichtet hat. Die hierfür aufgewendeten
Kosten werden dem Erwerbspreise nicht zuge-
rechnet, obwohl dies nach den Grundsätzen der
Billigkeit gerechtfertigt wäre. Der Grund ist der,
daß die Aufwendungen nicht innerhalb des für die
Steuerberechnung maßgebenden Zeitraums gemacht
sind (§ 14 Ziff. 3).
Eine Reihe anderer Bestimmungen führt zu ähn-
lichen Unbilligkeiten (vgl. §§ 16 Ziff. 2, 23, 28 Abs. 2).
Dieser Rechtszustand ist hauptsächlich dann un-
erträglich, wenn der Erwerb in der Zeit vor 1911
liegt. In Zukunft kann sich der Erwerber dadurch
schützen, daß er die Rechtsverhältnisse in Einklang
bringt mit den tatsächlichen (wirtschaftlichen) Vor-
gängen, indem er sich insbesondere die Auffassung
möglichst in dem Zeitpunkte geben läßt, in welchem
die Nutzungen und Lasten auf ihn übergehen, und in-
dem er ferner (namentlich da, wo die Auffassung vor
einem Notar erklärt werden kann) dafür sorgt, daß die
Eintragung des Eigentumswechsels der Auflassung
sofort folgt. Geht der Verkehr diesen Weg, so ist ein
Zustand erreicht, der seit langer Zeit dem Gesetzgeber
als Ideal vorgeschwebt hat: ich meine die Über-
einstimmung von Recht und Wirklichkeit auf dem
Gebiete des Grunderwerbs, das Zusammenfallen des
Bucheigentums mit dem sog. wirtschaftlichen Eigen-
tum.2) Das System des alten preußischen Rechts,
wonach zum Eigentumsü bergang nur Titel und Ueber-
gabe gehörten und die Eintragung im Hypotheken-
buche lediglich eine „Besitztitelberichtigung“ be-
deutete, führte zu schweren Uebelständen, da Buch-
eigentum und juristisches Eigentum sich vielfach,
nicht deckten. Das heutige System (in Preußen seit
!) Vgl. Reichsstempelgesetz v. 15. Juli 1909 Tarifst. 11 Anm. c»
preuß. Stempelsteuerges. v. 30. Juni 1909, Tarifst. 32 Ziff. 2 Satz 2.
preuß. GKG. v. 25. Juli 1910 § 127 Abs. 2.
2) Diesen Ausdruck sollte man nur dann gebrauchen, wenn man
sich bewußt ist, daß nach der heutigen Gesetzgebung im Falle der
Notwendigkeit einer Auflassung stets erst die Eintragung wahres
Eigentum verschafft, die Begriffe Bucheigentum und Eigentum sich
also decken.