Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 18.

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Sicherheit hierüber kann freilich erst die Zukunft
bringen. Eine wesentlich andere Frage ist, ob das
Herausgreifen der Strafsätze für Aufwiegelung und
Aufruhr und die Festsetzung der Mindeststrafen auf
6 Monate bzw. 1 Jahr zu billigen ist.
Das Flicken an einzelnen Bestimmungen eines
größeren Gesetzwerks hat immer etwas Bedenkliches,
weil dadurch die innere Einheitlichkeit des ganzen
Gesetzesbaues leicht zerstört wird. Dies gilt auch
bei bloßer Aenderung einzelner Strafsätze eines Ge-
setzes. Denn jede Strafdrohung steht mit einer Reihe
von anderen Strafsätzen in engster Wechselbeziehung,
und jede Einzeländerung zieht daher weitere Aen-
derungen nach sich, die sich meist nicht sofort über-
sehen lassen. Man hat sich im Reichstag über
diese Bedenken hinweggesetzt, weil man die Aen-
derung für zu dringlich hielt, um eine allgemeine
Reform des MilStrGB. abwarten zu können. Dagegen
läßt sich an sich nichts sagen. Aber schwer er-
klärlich ist es, daß man nicht auch die übrigen
hohen Mindeststrafsätze des in Frage stehenden Ab-
schnittes des MilStrGB., besonders diejenigen des
§ 97 (tätlicher Angriff gegen Vorgesetzte) und des
§ 103 (Meuterei), in die Aenderung einbezogen oder
wenigstens bei Festsetzung der neuen Mindeststrafen
für Aufruhr und Aufwiegelung berücksichtigt hat.
Ob man nur an den besonderen Fall dachte, der den
Anstoß zu dem Gesetz gab und ihm die Bezeichnung
lex Erfurt zugezogen hat, oder ob die Beschränkung
der Aenderung auf die beiden genannten Delikte
das Ergebnis eines Kompromisses zwischen Reichs-
tag und Regierung ist, kann man nicht wissen. Die
Reichstagsverhandlungen geben keinen Aufschluß
darüber.
Jedenfalls zieht die nunmehr Gesetz gewordene
Regelung verschiedene recht eigenartige Folgen
nach sich, von denen hier einige kurz hervorgehoben
sein sollen.
Während das bloße Unternehmen eines tätlichen
Angriffs gegen einen Vorgesetzten auch in minder
schwerem Falle, mit mindestens 1 Jahr, bei Be-
gehung im Dienst oder mit der Waffe sogar mit
mindestens 2 Jahre Gefängnis bedroht ist, kann
der Teilnehmer an einem militärischen Aufruhr, auch
wenn dabei ein Vorgesetzter tätlich angegriffen wird,
künftig mit 6 Monaten und, wenn er selbst hierbei
eine Gewalttätigkeit gegen den Vorgesetzten be-
gangen hat, mit nur 1 Jahr Gefängnis bestraft
werden, ohne Unterschied, ob die genannten Er-
schwerungsgründe des § 97 MilStrGB. vorliegen oder
nicht. Ja, selbst dann, wenn die begangene Gewalt-
tätigkeit eine schwere Körperverletzung des Vor-
gesetzten zur Folge gehabt hat. Hieran würde auch
die Annahme idealen Zusammentreffens von §§ 107
und 97 nichts ändern, denn der § 107 ist wegen des
höheren Maximums und der schwereren Strafart
zweifellos das schwerere Strafgesetz und findet als
solches nach § 73 StrGB. ausschließlich An-
wendung.
Noch auffälliger wird das Mißverhältnis bei
Vergleichung der jetzigen Mindeststrafsätze der §§ 99

und 103 MStrGB. Auf Anstiftung einer einzelnen
Person des Soldatenstandes zu einem tätlichen An-
griff gegen den Vorgesetzten steht, wenn die An-
stiftung Erfolg gehabt hat, nach der nicht geänderten
Bestimmung des § 99 die Strafe des § 97 MStrGB.,
also mindestens 1, eventuell 2 Jahre Ge-
fängnis. Wer dagegen mehrere Personen des
Soldatenstandes zu derselben Tat anstiftet, sich also
des schwereren Verbrechens der Aufwiegelung
schuldig macht, kann nach der Novelle, auch wenn
der tätliche Angriff stattgefunden hat, mit 6 Monaten
Gefängnis bestraft werden! Den Gipfel erreicht aber
das Mißverhältnis, wenn man die Strafdrohung des
nichtabgeänderten § 103 MStrGB. mit den neuen
Strafsätzen der §§ 106, 107 vergleicht. Haben
nämlich mehrere Personen des Soldatenstandes einen
tätlichen Angriff auf einen Vorgesetzten nur ver-
abredet (Meuterei), so beträgt die Mindeststrafe
nach § 103 i. Verb, mit § 97 MStrGB. selbst bei
Annahme eines minder schweren Falles 1 Jahr
und 3 Monate, wenn der Angriff im Dienst oder
mit der Waffe begangen werden sollte, sogar
2 Jahre und 3 Monate Gefängnis. Sind sie aber
auf Grund der Verabredung unter Zusammen-
rottung und mit vereinten Kräften zur Ausfüh-
rung des tätlichen Angriffs geschritten,
so können diejenigen Täter, die selbst Gewalt-
tätigkeiten begangen haben, bei Annahme eines
minder schweren Falles nach der Novelle mit
1 Jahr, die übrigen sogar mit nur 6 Monaten Ge-
fängnis bestraft werden, denn die Meuterei geht
dann in dem schwereren Verbrechen des Aufruhrs
auf. Auch die in Entsch. RMilG. 6, 236 vertretene
Ansicht, daß in solchem Falle nur Meuterei i. S. des
§ 103 Abs. 2 MilStrGB. vorliege, würde zu einer
Erhöhung dieser Mindeststrafen um nur 1 Tag
nach § 53 MilStrGB. führen. Der einfachste Weg
zur Vermeidung solcher Widersprüche wäre wohl
gewesen, nach dem Vorbilde des Vorentwurfs des
StrGB. (2. Lesung) in besonders leichten Fällen,
deren Voraussetzungen bestimmt gesetzlich festzu-
legen wären, dem Gerichte ein allgemeines, an die
ordentlichen Strafgrenzen nicht gebundenes Milde-
rungsrecht zu geben. Dann hätte es einer Aende-
rung der einzelnen Strafdrohungen überhaupt
nicht bedurft.
Die Beseitigung der aus der Fassung der Novelle
sich ergebenden Unstimmigkeiten muß nun eben
einer umfassenden Reform des MStrGB. Vorbehalten
bleiben. Bis dahin wird es Sache der Recht-
sprechung sein, das Mißverhältnis zwischen den
Strafsätzen durch eine verständige Strafzumessung
auszugleichen, was ja bei den weiten Strafrahmen
wohl möglich ist. Nur so wird der Zweck des
Gesetzes, eine dem Schuldgrade und dem allge-
meinen Rechtsgefühl entsprechende Bestrafung auch
bei den schwersten Subordinationsvergehen zu
sichern, ohne gleichzeitige Schädigung der militä-
rischen Interessen erreicht werden.

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