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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 18.
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der Bundesregierungen gefunden. Das Gesetz ist am
8. August vollzogen und im RGBl. 1913 S. 621 ver-
öffentlicht worden. Es hat seine erste praktische
Wirkung bereits in der kürzlich stattgehabten ober-
kriegsgerichtlichen Verhandlung des Erfurter Falles
gezeigt.
Die Novelle beschränkt sich auf die Herabsetzung
der für die Verbrechen der Aufwiegelung und des
militärischen Aufruhrs, soweit sie nicht im Felde
begangen sind, in den §§ 100, 106, 107, 109 und
110 MStrGB. angedrohten Min de st strafen. Unter
Aufwiegelung versteht das Gesetz die Aufforderung
mehrerer Personen des Soldatenstandes zu gemein-
schaftlicher Gehorsamsverweigerung, Widersetzung
oder tätlichem Angriff gegen einen Vorgesetzten,
unter militärischem Aufruhr die Beteiligung an einer
Zusammenrottung, bei der mehrere mit vereinten
Kräften die Begehung eines der drei vorgenannten
Subordinationsvergehen unternehmen. Die Auf-
wiegelung war bisher im Frieden mit der Mindest-
strafe von 5 Jahren, im Falle der Verursachung
eines erheblichen Nachteils für den Dienst sogar
von 10 Jahren Gefängnis bedroht. Die Mindest-
strafe für Aufruhr betrug im einfachen Falle 5 Jahre
Gefängnis, gegen die Rädelsführer, Anstifter und die
ihnen gesetzlich gleichgestellten Täter (Kl 10 MStrGB.)
5 Jahre Zuchthaus, bei freiwilliger Rückkehr aller
Beteiligten 2 Jahre Gefängnis oder Festungshaft.
Minder schwere Fälle sah das Gesetz bei beiden
Verbrechen bisher nicht vor.
Die Novelle läßt nun beim Vorliegen eines
minder schweren Falles eine Ermäßigung dieser
Strafen teils (bei einfacher Aufwiegelung und Auf-
ruhr) bis auf 6 Monate, teils (bei erschwerter Auf-
wiegelung und gegen die Rädelsführer und Anstifter
eines Aufruhrs) bis auf 1 Jahr Gefängnis zu. Zucht-
haus ist somit als obligatorische Strafe für diese
Straftaten überhaupt beseitigt. Dagegen bleiben die
im MilStrGB. für Aufwiegelung und Aufruhr an-
gedrohten Höchststrafen unberührt. Es können
also nach wie vor die Aufwiegelung und der Auf-
ruhr mit Gefängnis bis zu 15 Jahren, die Rädels-
führer und Anstifter beim Aufruhr sogar mit lebens-
länglichem Zuchthaus bestraft werden.
Ebenso läßt die Novelle die bisherigen Straf-
sätze auch hinsichtlich der Mindeststrafe in Geltung
für den Fall, daß die Tat im Felde begangen ist.
Die Mindeststrafen betragen also bei Aufwiegelung
im Felde nach wie vor 5 bzw. 10 Jahre Gefängnis,
bei Aufruhr im Felde 10 Jahre Gefängnis und gegen
die Rädelsführer und Anstifter Todesstrafe. Auch
bleibt bei Aufruhr vor dem Feinde gegen sämtliche
Beteiligte Todesstrafe die einzige zulässige Strafe.
Mit der obligatorischen Androhung der Zucht-
hausstrafe für bestimmte Fälle des militärischen Auf-
ruhrs fällt in Zukunft auch der gesetzliche Zwang
weg, gegen Rädelsführer und Anstifter des Aufruhrs
auf Entfernung aus dem Heer zu erkennen. Da-
gegen bleibt die Ehrenstrafe der Versetzung in die
II. Klasse des Soldatenstandes nach wie vor in jedem
Falle des Aufruhrs zwingend vorgeschrieben.
Die Oeffentlichkeit hat das Gesetz mit großer
Befriedigung aufgenommen. Auch vom Standpunkte
der Militärstrafrechtspflege wird man dies bis zu
gewissem Grade verstehen. Rückhaltlos ist anzu-
erkennen, daß die Zulassung minder schwerer Fälle
und die Erweiterung der Strafgrenzen nach unten
sachlich berechtigt und erwünscht ist. Es gibt in
der Tat Fälle — und sie sind gar nicht so selten —,
wo die vom MilStrGB. bisher für eine Anzahl militä-
rischer Verbrechen angedrohten Mindeststrafen unver-
hältnismäßig hoch und auch durch das militärische
Interesse nicht unbedingt geboten sind. Es ist einer
der obersten Grundsätze jeder Strafrechtspflege, daß
Schuld und Strafe in richtigem Verhältnis zueinander
stehen sollen. Die Strafrahmen des Gesetzes müssen
auch nach unten so weit sein, daß sie dem Richter
die Verwirklichung dieses Grundsatzes in jedem ein-
zelnen Falle ermöglichen und ihn nicht zwingen,
entgegen seiner eigenen Ueberzeugung auf eine außer
Verhältnis zur Schuld stehende Strafe zu erkennen
oder aber der Anwendung des schweren Straf-
gesetzes künstlich auszuweichen. Das eine liegt so
wenig im militärischen Interesse wie das andere.
Gewiß gehören Aufwiegelung und Aufruhr im .
Regelfall zu den schwersten, der Disziplin gefähr-
lichsten militärischen Vergehen und müssen daher
schon des abschreckenden Beispiels wegen mit strenger
Strafe geahndet werden. Diesem wichtigen mili-
tärischen Interesse wird aber genügend Rechnung
getragen durch die von der Novelle nicht abge-
änderten Höchstgrenzen der Strafdrohungen, die eine
sehr schwere Bestrafung der wirklich schweren
Fälle ermöglichen. Es liegt auch kein Grund zu
der Befürchtung vor, daß die Militärgerichte, die doch
vorwiegend mit Offizieren, den berufenen Hütern
der Disziplin, besetzt sind, sich durch die ermäßigten
Mindeststrafen in Fällen, die in Wahrheit keine minder
schweren sind,, zu einer allzu milden Beurteilung
verleiten lassen könnten. Die Novelle gibt ja dem
Richter nur die Befugnis zur Ermäßigung der Strafe,
und zwar beim Vorliegen eines minder schweren
Falles. Das Gericht muß sich also über die Gründe,
aus denen es einen solchen Fall annimmt, klar werden
und sie im Urteil aussprechen. In Betracht kommen
hierbei nicht nur die objektiven Tatumstände, sondern
auch die in der Person des Täters liegenden Milde-
rungsgründe. Selbstverschuldete Trunkenheit darf
jedoch nach § 49 Abs. 2 MilStrGB. bei Handlungen
gegen die Pflichten der militärischen Unterordnung
niemals als Grund für die Annahme eines minder
schweren Falles dienen. Diese Vorschrift ist selbst-
verständlich durch die Novelle unberührt geblieben.
Die Verübung der Tat im Zustande selbstverschul-'
deter Trunkenheit berechtigt also das Gericht für
sich allein nie zur Anwendung der ermäßigten Straf-
sätze der Novelle. Schon hierin liegt ein wirksamer
Damm gegen eine für die Disziplin gefährliche un-
angebrachte Milde der Gerichte. Ich glaube auch
nicht, daß die abschreckende Wirkung der Straf-
drohung durch die Novelle in einer für die Dis-
ziplin bedenklichen Weise abgeschwächt wird. Volle