7.1.7.
Bedingte Prozeßhandlungen
(Prof. Dr. Stein)
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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 1.
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V. Losgelöst vom eigentlichen Einführungsgesetz
entweder in einer neuen StrPO. oder in einer Novelle
zur StrPO.1) sind die neuen materiellrechtlichen
Vorschriften in das Prozeßrecht umzusetzen. An
anderer Stelle2) habe ich auf diese wichtige Frage
schon hingewiesen, insbesondere auf die Einfügung
der sichernden Maßnahmen3), der bedingten Ver-
urteilung, der Rehabilitation usw., auf die Behand-
lung der besonders leichten und besonders schweren
Fälle und auf die mögliche Rückwirkung auf die
strafgerichtliche Organisation infolge der Ausgestal-
tung der Strafzumessung. Damals habe ich auch
angeregt, diese Fragen in Verbindung mit anderen
strafprozessualen Fragen wissenschaftlich zu erörtern,
damit die neue StrPO. rechtzeitig wissenschaftlich
vorbereitet und eine organische Reform des Straf-
prozesses angebahnt wird. Ich habe Grund zur
Annahme, daß diese strafprozessuale Erörterung in
Form einer Rechtsvergleichung von berufener Seite
vorgenommen wird4).
Und um auch eine wissenschaftliche Erörterung
einzelner Fragen aus der Einführung eines neuen
StrGB. nach Maßgabe des Vorentwurfs und der nun
vorliegenden Kommissionsbeschlüsse anzuregen, habe
ich diese Zeilen geschrieben. Ueberblickt man die
Aufgaben der Strafrechtsreform, wie sie sich all-
mählich entwickeln, nach dem Entwurf eines Einf.-
Gesetzes der Entwurf eines Strafvollzugsgesetzes,
dann der einer StrPO. und einer Novelle zum Militär-
strafgesetzbuch, ferner die reichs- und landesrecht-
lichen Ausführungsvorschriften bis zu einer Reform
der Vorstrafenkontrolle, wobei auch die sichernden
Maßnahmen und die Wirkungen der Rehabilitation
in Betracht zu ziehen sind, dann wird man sagen
können, daß viel Selbstbeschränkung, aber auch viel
drängender — um im strafrechtlichen Bilde zu
bleiben — Feuerbachscher Geist allseitig dazu ge-
hören wird, um die große Reform als Ganzes zu
verabschieden. Denn niemand wird wünschen, daß
dieses groß angelegte Reformwerk einmal in einer
Novellengesetzgebung ausmündet, mit der die straf-
rechtliche Rechts ent wicklung unter der Herrschaft
des alten Strafgesetzes allmählich nun reichlich ge-
sättigt ist.
Bedingte Prozeßhandlungen.
Von Professor Dr. Friedrich Stein, Leipzig.
Von einer Bedingung im Rechtssinne kann nur
dann gesprochen werden, wenn eine Willens-
erklärung in der Weise abgegeben wird, daß ihre
Wirkung von einem künftigen ungewissen Umstande,
der nicht zum gesetzlichen Tatbestände gehört, ab-
hängig gemacht wird. Die Heimat der Bedingung ist
von jeher das Privatrecht, wo Vertragsfreiheit und
Testierfreiheit den Parteien ermöglichen, Rechts-
geschäfte für jede denkbare Gestaltung der Dinge
zum voraus zu erklären. Das Prozeßrecht dagegen
*) Oest. RegEntw. einer Novelle zur StrPO. v. 23. Mai 1873.
2) 1912 8. 995 d. Bl.
3) Z. B. Oest. RegEntw. einer Novelle zur StrPO., §§ 495—537.
4) Vgl. die Mitteilung auf S. 79 dieser Nr. Die Schriftleitung.
scheint auf den ersten Blick bedingte Handlungen
auszuschließen. Jedes folgende Stadium des Pro-
zesses ruht auf dem vorhergehenden, wie das obere
Stockwerk eines Baues auf dem unteren. Die
Freiheit der Gestaltung der Rechtsbeziehungen wird
weder den Parteien noch dem Gerichte gewährt.
Es wird deshalb hier stets des besonderen Nach-
weises der Zulässigkeit der Bedingung bedürfen,
und es kann von vornherein als sicher gelten, daß
Umstände, die außerhalb des Prozesses liegen,
niemals zur Bedingung prozessualer Handlungen
gemacht werden können. Andererseits eignen sich
alle Prozeßhandlungen der Parteien mit verschwin-
denden Ausnahmen deshalb zur bedingten Er-
klärung, weil sie rechtsgeschäftlichen Charakter
haben, und die gerichtlichen Entscheidungen sind
ebenfalls Willenserklärungen öffentlichrechtlicher Art.
Nur wo die Partei außerhalb der Verhandlungs-
maxime reine Wissenserklärungen abgibt, ist die
Bedingung begrifflich ausgeschlossen, wie bei der
Zeugenaussage. Wo sie andererseits zulässig ist,
können nur die §§ 158, 159 BGB. über den Eintritt
der Wirkung und die mögliche Rückwirkung An-
wendung finden. Die übrigen Vorschriften über
Vereitelung der Bedingung, Schadensersatz usw.
wurzeln dagegen ganz und gar in der privatrecht-
lichen Natur der Willenserklärung.
Keine Bedingung ist es, wenn nach dem Gesetz
ein künftiges Ereignis von Wirksamkeit ist, wie
etwa bei der sog. Rückdatierung nach §§ 496
Abs. 3, 207, 932 Abs. 2 ZPO. oder der Pfändungs-
benachrichtigung nach § 845. Wenn^ ferner nach
einem rechtsmittelfähigen Zwischenurteile oder nach
einem Vorbehaltsurteile weiter verhandelt wird,
bevor die Rechtskraft dieses Urteils eingetreten ist
(§§ 275, 302, 304, 540, 599), so hängt zwar die
Gültigkeit des weiteren Verfahrens davon ab, ob
das frühere Urteil bestätigt wird, und es fällt im
Falle seiner Aufhebung selbst das rechtskräftige
Urteil im Nach verfahren zusammen. Aber das ist
nicht Folge einer kraft richterlichen Willens be-
stehenden Abhängigkeit.
Bedingte Prozeßhandlungen sind zunächst die
eventuellen Parteihandlungen. In einer Prozeß-
lage, wo mehrere auf denselben prozessualen Erfolg
hinzielende Anträge, Behauptungen, Erklärungen
gleichzeitig abgegeben werden können, stellt die
Partei durch das „eventuell“ ein Abhängigkeits-
verhältnis in der Weise her, daß der zweite Behelf
nur für den Fall der Erfolglosigkeit des früheren
zur Geltung kommen soll. Wo dagegen der zweite
Behelf nur für den Fall des Durchdringens mit dem
ersten wirken kann (Feststellung des Erbrechts, even-
tuell Verurteilung zur Auszahlung), sind beide Behelfe
unbedingt erhoben und das „eventuell“ bedeutet nur,
daß mit der Abweisung des ersten der zweite gegen-
standslos wird. Die wirkliche Eventualhäufung er-
zwang das frühere Recht durch die Eventualmaxime
stets, das heutige tut es nur noch in wenigen Fällen,
z. B. § 274. Im übrigen können die Parteien dadurch,
daß sie die Behelfe nacheinander Vorbringen, ihre Ver-