Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

22.7.4. Der Begriff "nahegelegen" in § 6 Abs. 2 des Weingesetzes

22.7.5. Die Laienrichter bei den germanischen Völkern

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 16/17.

Der Begriff „nahegelegen“ in § 6 Abs. 2 des
Weingesetzes. Die Ausführungen des LR. Pf leider er
S. 859 d. Bl. möchte ich nicht unwidersprochen lassen.
Nach der Denkschr. z. Entw. des neuen Weinges. wollte
die Regierung dem Mißbrauch, geographische Namen ohne
Rücksicht auf die Herkunft als Gattungsnamen zu be-
nutzen, entgegentreten. Als oberster Grundsatz wurde
deshalb aufgestellt, daß die Bezeichnung wahr sein müsse.
„Jedoch sollte gestattet bleiben, in hergebrachter Weise
die Namen einzelner Gemarkungen zu benutzen, um gleich-
artige und gleichwertige Erzeugnisse anderer Gemarkungen
des betr. Weinbaugebietes zu bezeichnen.“ (Eine
weitere wichtige Ausnahme zugunsten des Verschnittes
interessiert hier nicht.) Da aber in der Reichstagskom-
mission eine Einigung über die Einteilung des gesamten
deutschen Weinbaugebietes in Teilbezirke nicht erzielt
werden konnte, gab man unter Festhaltung des Grund-
gedankens des Entw. § 6 Abs. 2 Weinges. v. 17.4.09 seine
jetzige Fassung, in der „anderer Gemarkungen des betr.
Weinbaugebietes“ ersetzt ist durch „benachbarter oder nahe-
gelegener Gemarkungen.“ Diese hat jedenfalls den Vorzug,
daß den Grenzgebieten verschiedener Weinbaubezirke
Rechnung getragen werden kann. — Man war und ist sich
nun einig darüber, daß man unter „benachbarte“ Gemarkungen
aneinandergrenzende zu verstehen hat. Für „nahegelegen“
konnte eine gleich einfache und bestimmte Definition nicht
gefunden werden, insbesondere erschien es untunlich, eine
nach Kilometern berechnete Entfernung anzugeben. All-
gemein war man aber bei der Beratung des Gesetzes der
Auffassung, daß die Bestimmung nicht zu eng auszu-
legen, vielmehr auf den Weinhandel, der beim Exporte
nicht mit Hunderten von auf dem Weltmärkte unbekannten
Namen arbeiten könne, und auf den Weinbau bei Anwen-
dung und Auslegung des § 6 Rücksicht zu nehmen sei.
Daß „nahe gelegen“ nur „etwas weiter gehe als benach-
bart“, wie Pfleiderer behauptet, wird demnach im all-
gemeinen nicht zutreffen, vielmehr werden, wie Günther-
Marschners Kommentar betont, die räumlichen und wirt-
schaftlichen Verhältnisse der in Frage kommenden Gegend
nicht weniger wie die Anschauungen des Verkehrs (vor
allem selbtverständlich in dem betr. Weinbaugebiete) für
die Entscheidung der Frage, ob eine Gemarkung einer
anderen nahe gelegen ist, maßgebend sein. Also: ein
Begriff von größter Dehnbarkeit und Rechtsunsicherheit
in einer wirtschaftlich bedeutungsvollen Frage. Dm der
Unsicherheit zu steuern, tritt Goldschmidts Komm, wie-
der für eine Festlegung nach Kilometern ein und betrachtet
Ortschaften von 15 bis 20 km für nahegelegen untereinander.
Ein derartig summarisches Verfahren wird aber zweifellos zu
Unbilligkeiten führen können, wenn man beispielsweise
berücksichtigt, daß Traben-Trarbach von Berncastel in der
Luftlinie 4 km, der Mosel entlang aber 22 km entfernt ist.
Selbstverständlich haben sich auch die Interessenten-
verbände mit der Lösung der Frage befaßt, und zwar noch
vor Inkrafttreten des Weinges. Die Ergebnisse ihrer Be-
ratungen sind aber nur „Vorschläge“ für die Auslegung.
Zweifellos geht es zu weit, alle Orte des Rheingaues,
von Rheinhessen und der Nahe, der Mosel von Ooblenz
bis zur Mündung der Ruwer als „nahe gelegen“ zu be-
trachten.1) Indessen findet der Vorschlag des Wein-
händlervereins der Mosel v. 6. 6. 09, die Gebiete der Saar,
der Ruwer, der Obermosel von Sierck bis zur Mündung
der Saar einheitlich zu behandeln und ihre Ortschaften als
!) Vgl. die Rede des damal. Staatssekr. des Reichsamts d. 1.
v. Bethmann-Hollweg im Reichstag v. 9. 3. 09. Weiterer Kund-
gebungen der Zentralinstanzen über ihre Auffassung bedarf es nicht.
Sie wären auch zwecklos, da nunmehr die Gerichte die Frage zu
entscheiden haben.

untereinander nahegelegen zu betrachten, soviel mir be-
kannt ist, kaum Widerspruch. Höchstgerichtliche Urteile
über § 6 Abs. 2 WGes. sind bis jetzt kaum ergangen.
Zweck dieser Zeilen ist, zu zeigen, wie bedenklich es
ist, wenn in dieser Frage strafgerichtliche Entscheidungen
getroffen werden, ohne daß vorher ein Gutachten des amt-
lichen Weinkontrolleurs oder der Handelskammer des betr.
Weinbaugebietes eingeholt wird.
Staatsanwalt Dr. Wieland, Trier.

Die Laienrichter bei den germanischen Völkern»
Welch große Rolle die Laienrichterfrage im Deutschen Reiche
spielt, braucht hier nicht besonders betont zu werden. Von
Interesse ist aber, ob dieselbe Frage auch bei unseren Brüdern
und Vettern außerhalb Deutschlands eine Bedeutung hat.
Blicken wir nach Oesterreich. In Zivilsachen wirken
Laien nur bei den Handelsgerichten mit. In Strafsachen
werden Laien allein bei den Schwurgerichten zugezogen,
die für Verbrechen, die mit mehr als 5 Jahren Kerker be-
droht sind, und für politische und Preßdelikte zuständig sind.
In der Schweiz werden die Richter auf bestimmte
Zeit gewählt. An und für sich kann jeder Bürger als
Richter auf den Richterstuhl gehoben werden, tatsächlich
fällt aber die Wahl meistens auf Juristen. Werden aber
für die unteren Instanzen Laien gewählt, so wird durch
eine andere Vorschrift dafür gesorgt, daß das Gericht nicht
ohne Rechtskenntnisse bleibt; denn bei jedem Gerichte
muß ein juristisch gebildeter Gerichtsschreiber angestellt
sein, dessen Aufgabe es ist, dafür zu sorgen, daß „die Ur-
teile zuverlässig ausfallen“. Mit Rücksicht auf die Wahl
der Richter — die der Untergerichte werden vom Volke
gewählt, die der Kantonsobergerichte von der gesetz-
gebenden kantonalen Behörde, die des Bundesgerichts von
der Bundesversammlung — besteht nirgends der Wunsch
auf Zuziehung von Laien zur Rechtsprechung und gibt es
nicht einmal in sämtlichen Kantonen Schwurgerichte zur
Aburteilung der schwersten Straffälle.
Belgien soll wegen der Vlämen nicht übergangen
werden. Es gibt dort Friedensrichter, die aber alle Juristen
sein müssen. Laien wirken nur bei den Schwurgerichten mit.
Die Niederlande und Luxemburg kennen nur den
gelehrten beamteten Richter. Auch die öffentliche Meinung
verlangt keine Laienrechtsprechung.
Nicht einmal in dem von den Laienrichterschwärmern
so viel bewunderten England gibt es in Zivilsachen eine
Mitwirkung von Laien. Zwar hat jede Partei das Recht,,
in I. Instanz vor dem High Court die Zuziehung von Ge-
schworenen zu verlangen, allein der Richter ist an den
Spruch der Juiy nicht gebunden. Die Strafjustiz liegt,
äußerlich betrachtet, in den Händen von Laien, für die
richtige Ausübung müssen aber die den Gerichten bei-
gegebenen Juristen sorgen, bei den Courts of Summary
Jurisdiction der Clerc to the Justice, der erst, nachdem er
14 Jahre Barrister, Rechtsanwalt höherer Ordnung, ge-
wesen ist, Gerichtsschreiber werden kann, bei den Courts
of Quarter Sessions der Clerc of the Peace. Die Polizei-
richter in den 21 großen Städten sind nur Juristen, die als
Barristers längere Zeit tätig gewesen sind. In den Schwur-
gerichten, Courts of Assises, übt der Vorsitzende, ein
Richter des High Court, einen entscheidenden Einfluß aus.
Das im Jahre 1907 geschaffene Kriminalberufungsgericht
besteht nur aus Juristen. Die oberste Instanz in Zivil-
und Strafsachen bildet das Oberhaus, das aber nur durch
drei oder mehr Mitglieder, die als hohe Richter in das
Oberhaus einberufen wurden, seine Entscheidung erläßt.
In Norwegen sind sämtliche Zivilstreitigkeiten zu-
erst der Vergleichskommission vorzulegen, die aus zwei

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