Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

22.7.2. Zur Reform des Armenrechts

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 16/17.

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die Zahl der Nichtbestandenen vermindern. Man kann
auch, wie heute schon, nur mit größerem Rechte die Kan-
didaten zu wiederholten Malen zur Konkurrenz zulassen.
Schließlich ist für die Nichtbestandenen ein Unterkommen
leichter zu finden als heute für die Durchgefallenen. Denn
auf ihnen würde nicht das Odium dieses Begriffes lasten.
Es wird im Volksbewußtsein klar werden, daß eben nur
eine bestimmte Anzahl bestehen kann, und daß die Nicht-
bestandenen noch keineswegs untüchtig zu sein brauchen.
Heute dagegen hat ein durchgefallener Student mit teils
berechtigten, teils unberechtigten, jedenfalls aber mit
schweren Vorurteilen zu kämpfen.
Der Einwurf, es möchten bei dieser Gestaltung des
Examens zu wenig Kandidaten das Risiko der Konkurrenz
auf sich nehmen, ist bei der Beliebtheit des Studiums und
der Sucht nach höherer Lebensstellung kaum ernst zu
nehmen. Der Gefahr, daß das Niveau der durchschnitt-
lichen Examensleistung zu sehr sinken könnte, wäre leicht
dadurch zu begegnen, daß man dieses System der Kon-
kurrenz mit dem des bisherigen Examens kombiniert, d. h.
-ein Mindestmaß von Objektivleistungen aufstellt, unter dem
überhaupt kein Kandidat die Konkurrenz bestehen kann.
Danach springen die Vorteile des vorgeschlagenen
Systems in die Augen. Das gesteckte Ziel, den Zugang
zur Anwaltschaft objektiv, d. h. ohne Inanspruchnahme
irgendeiner Instanz, zu regulieren, wäre erreicht. Das
Mittel weist keine größeren Nachteile auf, als mit jedem
Examen einmal verbunden sind. Es ist auch in anderen
Ländern vielfach in Gebrauch. Dagegen bietet es den
weiteren besonders gewichtigen Vorteil, daß, und zwar
unter Vermeidung jeden Ausnahmecharakters, nicht nur
der Zustrom zu der Anwaltschaft, sondern auch der zu
den anderen juristischen Berufen geregelt und vermindert
wird. Auch im Staatsdienst wird ja eine Ueberfüllung ge-
meldet. Sogar in den kaufmännischen Berufen beginnt
sich das Angebot eines juristischen Proletariats fühlbar zu
machen. Die Schäden für den Juristenstand, für sein Ver-
hältnis zu den anderen Volksteilen und damit für das
Volksganze sind klar. All diesen Mißständen wäre mit
«inem Schlage abgeholfen, und schließlich würde dieser
Erfolg, was nicht gering zu veranschlagen ist, erreicht,
ohne die geringste Aenderung der Gesetze. Eine einfache
VerwaltungsVerordnung über die Einrichtung der juristi-
schen Prüfungen würde für jeden Bundesstaat genügen.
Wer macht den Versuch?
Rechtsanwalt u. Dozent Dr. Wimpfheimer,
Mannheim.

Zur Reform des Armenrechts. Die Gleichheit
aller vor dem Gesetze bleibt solange ein lediglich theo-
retischer Gedanke, wie nicht dafür Sorge getragen ist,
daß auch tatsächlich jeder Staatsbürger die Möglichkeit
besitzt, sein Recht zu verfolgen. Dabei aber steht im
Vordergründe die Kostenfrage. Sie würde nicht in Be-
tracht kommen, wenn die von sozialistischer Seite erho-
bene Forderung der unentgeltlichen Rechtspflege ver-
wirklicht wäre, aber deren Durchführung stößt nicht nur
auf die Schwierigkeit, daß sie den aus allgemeinen Steuern
zu deckenden Justizetat außerordentlich steigern würde,
sondern ihr steht auch das prinzipielle Bedenken im Wege,
daß in der großen Mehrzahl von Prozessen neben dem
ideellen Zwecke des Kampfes um das Recht zugleich höchst
einseitige persönliche Interessen verfolgt werden, für
welche die Gesamtheit 'keine Veranlassung hat, Opfer zu
bringen. Ist es also nicht zu vermeiden, daß die Rechts-
verfolgung mit Kosten verknüpft ist, so läßt sich die
Gleichstellung der Unbemittelten mit den Wohlhabenden

nur erreichen durch eine Ausnahmebehandlung der ersteren.
Sie besteht in der Gewährung des Armenrechts.
Beruht dieses deshalb auf einem echt humanen und
sozialen Gedanken, so mehren sich doch von Jahr zu Jahr
die Klagen, die entweder gegen die Einrichtung als solche
oder wenigstens gegen ihre jetzige Handhabung erhoben
werden. Insbesondere beschweren die Anwälte sich über
eine ihnen auferlegte drückende Last und fordern tief-
greifende Reformen. Wer die Praxis kennt, muß diese
Klagen in weitem Umfange als berechtigt anerkennen, und
so entschieden man es wird ablehnen müssen, den Grund-
gedanken aufzugeben, so ist es um so mehr geboten, solche
Mittel der Abhilfe zu erwägen, die ihn unberührt lassen.
Aber diese Prüfung zeigt uns sofort, daß der be-
friedigenden Ordnung der Angelegenheit eine logische
Schwierigkeit im Wege steht. Zweifellos soll der unent-
geltliche Rechtsschutz nur gewährt werden für begrün-
dete Ansprüche. Aber ob ein Anspruch berechtigt ist
oder nicht, soll ja gerade durch den Prozeß entschieden
werden. Wir befinden uns also in einem Zirkel. Seine
Lösung ist nur dadurch möglich, daß man der end-
gültigen Entscheidung, die erst im Prozesse gewonnen
werden kann, eine vorläufige vorangehen läßt, und daß diese
die Unterlage für die Bewilligung des Armenrechts bildet.
Aber hier stoßen wir auf eine eigentümliche Lage der
Gesetzgebung. Während über die Vermögensverhältnisse
eine Bescheinigung der Behörde beigebracht werden muß,
wird hinsichtlich des verfolgten Anspruches lediglich eine
„Darlegung des Streitverhältnisses unter Angabe der Be-
weismittel“ gefordert. Das bedeutet also, daß die auf-
gestellten Behauptungen ohne weiteres als richtig ange-
sehen werden und die Prüfung sich nur darauf erstrecken
soll, ob auf dieser Grundlage der erhobene Anspruch als
begründet erscheint. Ein solches Entgegenkommen geht
offenbar zu weit, insbesondere verliert auf diese Weise
die Bestimmung, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung
nicht mutwillig oder aussichtslos sein dürfe, den größten
Teil ihrer Bedeutung.
Es mag dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift trotz
dieses Bedenkens sich dennoch rechtfertigen ließe, wenn
das entgegenstehende Interesse lediglich fiskalischer Natur
wäre, und es scheint fast, als ob der Gesetzgeber von
dieser Voraussetzung ausgegangen ist. Aber es bedarf nur
geringer Ueberlegung, um sich klar zu machen, daß der
Fiskus keineswegs der einzige ist, der durch eine unan-
gemessene Ausdehnung des Armenrechts einen Schaden
erleidet. Zunächst wird dem Prozeßgegner die Auf-
wendung von Mühe und Kosten zugemutet, auf deren
Ersatz er selbst dann nicht sicher rechnen kann, wenn er
als im Rechte befindlich anerkannt wird. Aber neben ihm
werden auch die Rechtsanwälte in Mitleidenschaft ge-
zogen, indem man von ihnen gleichfalls Aufwendungen
fordert, die sie nur dann erstattet erhalten, wenn die arme
Partei obsiegt und der Gegner zahlungsfähig ist.
Die Billigkeit fordert unabweislich, daß diesen beiden
natürlichen Gegnern des Antragstellers, in deren Interessen
er eingreifen will, Gelegenheit gegeben wird, diese wahr-
zunehmen. Geschieht das, so ist aber zugleich auch noch
ein weiterer Vorteil erreicht, indem ein kontradiktorisches
Verfahren geschaffen wird, ohne das eine ausreichende sach-
liche Prüfung des Antrages nicht möglich ist.
Wenn aus Anwaltskreisen heraus vereinzelt vor-
geschlagen ist, die Beschlußfassung über das Gesuch um
Erteilung des Armenrechts dem Gerichte abzunehmen und
der Anwaltskammer oder einer besonderen aus Anwälten
gebildeten Kommission zu übertragen, so erscheint das
nicht angängig, denn gerade deshalb, weil die Anwälte in
der Angelegenheit persönlich interessiert sind, kann die

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