Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

22.1.6. Der Richter und die Verbrechensbekämpfung im neuen Strafrecht

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 16/17.

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ZPO. auch dann schon einigermaßen genügen
würde, wenn es nur in dem hier bezeichneten
Rahmen geändert würde.
Daß eine solche Aenderung, soweit es sich um
die Bestimmungen zu II 2, 3, 5 und 6 handelt,
zugleich dem amtsgerichtlichen und berufungs-
gerichtlichen Verfahren zustatten käme, und die
Bestimmungen zu I a und b auch für das letztere
Verfahren brauchbar wären, erhellt ohne weiteres.

Der Richter und die Verbrechens-
bekämpfung im neuen Strafreeht.
Von Reichsgerichtsrat Dr. Ebermayer, Leipzig.
Indem ich, dem Wunsche der Schriftleitung der
DJZ. entsprechend, mich zu dieser auf der Tages-
ordnung des diesjährigen Deutschen Richtertages
stehenden Frage äußere, bemerke ich von vorn-
herein, daß ich nicht beabsichtige, mich in den
Streit der Meinungen darüber einzulassen, wie weit
etwa an Stelle des „Deutschen Strafgesetzbuches“
ein „Deutsches Verbrechensgesetzbuch“ zu treten
hätte, ein „Deutsches Verbrechensbekämpfungsrecht“
zu schaffen wäre. Ich werde auch nicht untersuchen,
inwiefern den in dieser Richtung insbesondere von
Prof. Dr. Thomson gestellten Forderungen1) Be-
rechtigung zukommt, und inwieweit der Vorentwurf
und die Kommissionsbeschlüsse den von dieser Seite
gestellten Anforderungen gerecht geworden sind, end-
lich warum dies, soweit es etwa nicht geschah, unter-
blieben ist. Ich werde mich vielmehr lediglich
darauf beschränken, festzustellen, welche Mittel zur
Bekämpfung des Verbrechens der VE. und die Kom-
missionsbeschlüsse, soweit sie in der DJZ. mitgeteilt
sind, dem Richter in Zukunft in die Hand geben.
Daß es die Aufgabe des Staates ist, nicht nur
den Verbrecher zu bestrafen, sondern, soweit mög-
lich, das Verbrechen selbst zu bekämpfen, sei es im
Rahmen der Strafgesetzgebung, sei es in dem sozial-
politischer Gesetze, ist keine neue Erfindung und
ein Gedanke, der, wie Klee, DRZ. 1912 S. 241,
treffend hervorhebt, schon bei Carpzov und in der
Bambergensis Ausdruck gefunden hat. Auch unser
geltendes StrGB. enthält eine Reihe von Maßnahmen,
die vorzugsweise dem Zwecke der Verbrechens-
bekämpfung dienen, so die Polizeiaufsicht, die Aus-
weisung, korrektionelle Nachhaft, Unterbringung
Jugendlicher in Familien, Erziehungs- oder Besserungs-
anstalten, Einziehung und Unbrauchbarmachung u. a.
In weit erhöhtem Maße stellt der nach den Kom-
missionsbeschlüssen umgestaltete Vorentwurf dem
Richter der Zukunft Mittel zur Bekämpfung des
Verbrechens zur Verfügung.
Zunächst ist und bleibt es die Strafe, welche,
• abgesehen von der im Rahmen dieses Themas nicht
weiter interessierenden generalpräventiven Wirkung
*) Vgl. Thomsen, Grundriß des Verbrechensbekämpfungs-
rechts, Berlin 1906; derselbe: Gesetzgeberische Bekämpfung vor-
zeitlicher Delikte, ferner die Aufsätze von Thomsen, Hoff-
schulte, Klee, Eeisenberger, ten Hompel in der DRZ.
1912 S. 89L, 96ff, 239 ff, 281 ff, 363ff. 399ff., 501 ff., 873ff.

der Strafdrohung an sich, im Wege der Spezial-
präventive gegenüber dem verurteilten Delinquenten
verbrechenbekämpfende Wirkung äußern, den Uebel-
täter von neuen Straftaten abhalten soll. Diese
spezialprävenierende Wirkung der Strafe wird um
so kräftiger sein, je mehr der Richter in der Lage
ist, bei ihrer Ausmessung nicht nur die Tat, sondern
daneben in gleichem Maße die Individualität des
Verbrechers zu berücksichtigen. Je mehr die Strafe
der Persönlichkeit des Verbrechers angepaßt ist,
desto mehr wird sie geeignet sein, auf ihn, sei es
abschreckend, sei es bessernd zu wirken und ihn so
von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten,
insofern also gleichzeitig verbrechenbekämpfend zu
wirken. Diese Möglichkeit der Individualisierung gibt
aber das neue Strafgesetz — ich will der Kürze
halber einmal unverzeihlichem Optimismus huldigen
und den nach den Kommissionsbeschlüssen um-
gestalteten VE. als neues Strafgesetz bezeichnen —
dem Richter in weitgehendem Maße an die Hand
und macht es ihm andererseits zur Pflicht, von dieser
Möglichkeit Gebrauch zu machen. Weitere Straf-
rahmen, weniger festgelegte Strafminima, Wahl
zwischen Zuchthaus, Gefängnis und Einschließung
oder zwischen den beiden letzteren Strafarten, even-
tuell alternativ neben Geldstrafe, Annahme beson-
ders leichter oder besonders schwerer Fälle, Be-
rücksichtigung des Rechtsirrtums ohne Unterscheidung
zwischen zivilrechtlichem und strafrechtlichem Irrtum,
alles das setzt den Richter in den Stand, in jedem
Falle die Strafe unter Beachtung der ihm in § 81
VE. (§ 105 KB.) gegebenen Strafbemessungsvor-
schriften so abzumessen, wie sie der Eigenart des
Täters, seiner in der Tat hervortretenden verbreche-
rischen Gesinnung, seinen Beweggründen, Motiven,
persönlichen Verhältnissen usw. entspricht, und da-
durch zu erreichen, daß die Strafe ein geeignetes
Mittel wird, den Täter von neuen Straftaten abzu-
halten. Neben die Strafe tritt als geeignetes Be-
kämpfungsmittel ein sachentsprechender Strafvoll-
zug. VE. und Kommission haben hinsichtlich des
Strafvollzugs nur allgemeine Richtlinien aufgestellt,
das übrige dem zu erwartenden Strafvollzugsgesetze
überlassen. Arbeitszwang, Unterricht, Hebung der
sittlichen und geistigen Kräfte des Gefangenen, aus-
gedehnte Verwendung der Einzelhaft und andere
sachentsprechende Maßregeln werden dazu beitragen,
daß der Gefangene nicht schlechter aus dem Ge-
fängnis herauskommt, als er hineinkam, und so zu
ihrem Teile der Verbrechensbekämpfung dienen.
Neben die schon dem bisherigen Rechte bekannte
vorläufige Entlassung, bei der dem Entlassenen
bei oder nach der Entlassung besondere Verpflich-
tungen auferlegt werden können, er auch unter
Schutzaufsicht gestellt werden kann — ein sicher-
lich nicht zu unterschätzendes Mittel, ihn von Be-
gehungweiterer Straftaten abzuhalten —tritt in weitem
Umfange gegenüber Erwachsenen wie Jugendlichen
die bedingte Strafaussetzung.
Sie kann jedem, der wegen eines Verbrechens
oder Vergehens im Inlande noch nicht verurteilt

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