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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 15.
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worden war und auch im Gesetz vom 14. Juni 1912,
wenn auch unter anderen Verhältnissen, Ausdruck
gefunden hatte, im Wege einer unmittelbaren Reichs-
steuer verwirklicht werden sollte. Daß der Bundesrat
trotz seiner aus der Sorge für die finanzielle Selb-
ständigkeit der Bundesstaaten hergeleiteten Bedenken
gegen direkte Reichssteuern dieser Regelung schließ-
lich doch zugestimmt hat, liegt in der Besonderheit
der in Rede stehenden Steuer begründet.
Die Vermögenszuwachsteuer (Besitzsteuer) macht
den innerhalb gewisser Zeitabschnitte eingetretenen
Vermögenszuwachs zum Gegenstände der Be-
steuerung. Sie wird hiernach zwar in periodischen
Zeitabschnitten veranlagt, trifft den in der Person
des Vermögenslrägers eingetretenen Vermögenszu-
wachs als solchen aber nur einmal zu dem auf die
Vermögensbildung folgenden Veranlagungszeitpunkt
und dann nicht wieder, ist insofern also nicht perio-
disch und unterscheidet sich eben hierdurch von
den landesgesetzlichen, alljährlich erhobenen Ver-
mögenssteuern, in die sie demnach nicht unmittel-
bar eingreift. Die Forderung, daß die bisherigen
Einkommensteuern und die Vermögenssteuern den
Bundesstaaten Vorbehalten bleiben sollen, ist da-
her in diesem Sinne erfüllt geblieben.
Die Besitzsteuer wird erhoben von dem Unter-
schiede zwischen dem reinen Werte des steuerbaren
Gesamtvermögens am Ende des jeweiligen dreijährigen
Veranlagungszeitraumes und dem reinen Werte des
steuerbaren Gesamtvermögens am Anfang dieses
Zeitraumes. Auf den Ursprung des Vermögenszu-
wachses wird hierbei im allgemeinen grundsätzlich
nicht eingegangen. Die Abgabe trifft den Vermögens-
zuwachs gleichviel, ob er verdienter oder unver-
dienter Vermögenszuwachs ist, sie trifft ihn insbe-
sondere auch dann, wenn er in einer Erbschaft oder
Schenkung von Elternseite her seinen Grund hat.
Sie schließt mit anderen Worten eine Deszendenten-
Erbschafts- und Schenkungssteuer in sich ein. Da
alles Vermögen physischer Personen einmal die
Pforte der Erbschaft passieren muß, erledigt sich
der Einwand, als ob diese Steuer nicht mit der Zeit
alles Vermögen einmal erfaßte.
Was die Vermögenszuwachssteuer vor der Erb-
schaftssteuer auszeichnet, beruht in den Besonder-
heiten ihrer Struktur, die auch gegenüber den viel-
fachen sonstigen grundsätzlichen Einwendungen gegen
dieseBesteuerungsart gerechterweise gewürdigt werden
müssen. Sie vermeidet ein Eindringen in innere
Familienverhältnisse zu einer Zeit, wo ein solches
Eindringen wie beim Tode oder in Schenkungs-
fällen besonders lästig empfunden wird. Auch wird
der Zuwachs zur Steuer nur insoweit herangezogen,
als er als Aktivvermögen in die Erscheinung tritt,
nicht auch insoweit, als er lediglich eine Ueber-
schuldung der Steuerpflichtigen beseitigt hat. Auch
soweit der Zuwachs bis zurZeit der Veranlagung wieder
weggefallen ist, bleibt er außer Betracht. Besonders
wichtig ist folgendes: Der Vermögensstand zu Be-
ginn des Veranlagungszeitraumes wird für die Er-
mittlung des Zuwachses nur dann zum Vergleiche
herangezogen, wenn er zu einer Versteuerung ge-
führt hatte. War dies nicht der Fall, weil das
Vermögen des Steuerpflichtigen gegenüber einem
früheren Veranlagungszeitpunkte zurückgegangen war
oder sich doch nicht erhöht hat, so wird auf die-
jenige weiter zurückliegende Veranlagung zurück-
gegriffen, die den letzten höchsten Vermögensstand,
der zu einer Versteuerung geführt hat, darstellte.
Eine neue Heranziehung zur Steuer kommt also erst
dann und nur insoweit in Frage, wenn und soweit
dieser Vermögensstand wieder überschritten wird,
dann allerdings mit dem Zuwachse selbst dann, wenn
dieser sich in einem längeren als dreijährigen Zeit-
raum angesammelt hat.
Im übrigen basieren die Vorschriften des Besitz-
steuergesetzes vollständig auf denen des Wehrbei-
tragsgesetzes, soweit das Vermögen in Betracht
kommt. Folgendes Besondere ist hervorzuheben.
Die Steuerpflichtigkeit beschränkt sich auf die
physischen Personen. Ausländer sind mit dem Zu-
wachs am gesamten steuerbaren Vermögen (zu dem
auch hier das im Ausland befindliche Grund- und
Betriebsvermögen nicht gehört) jedoch schon dann
steuerpflichtig, wenn sie im Deutschen Reiche einen
Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt haben.
Ist ein Ehegatte, dessen Vermögen mit dem
des anderen zusammengerechnet war, innerhalb des
Veranlagungszeitraumes gestorben, so ist der aus
dem Erbfall herrührende Zuwachs des anderen Ehe-
gatten steuerfrei, es sei denn, daß das ererbte Ver-
mögen in der Hand des anderen Eheteils der Zuwachs-
besteuerung unterliegen würde.
Die erstmalige Feststellung des Vermögenszu-
wachses erfolgt zum 1. April 1917 für den vom
1. Jan. 1914 bis 31. Dez. 1916 gegenüber dem nach
dem Wehrbeitragsgesetz festgestellten Vermögen ent-
standenen Zuwachs, später von drei zu drei Jahren
für den in den vorangegangen drei Kalenderjahren
entstandenen Zuwachs mit den bereits erwähnten
Einschränkungen. Wird eine Person oder wird Ver-
mögen erst innerhalb des Veranlagungszeitraumes
steuerpflichtig, so wird das Vermögen erstmalig für
den Zeitpunkt des Eintritts der Steuerpflicht festgestellt.
Die Entrichtung der Steuer verteilt sich auf eine
dem Veranlagungszeitraum folgenden, mit dem 1. April
beginnenden dreijährigen Erhebungszeitraum.
Die Steuersätze sind gleichzeitig nach zwei Ge-
sichtspunkten gestaffelt, einmal nach der Höhe des
steuerpflichtigen Zuwachses und sodann nach der
Höhe des Gesamtwertes des steuerbaren Vermögens
(einschließlich des Zuwachses). Die erste Skala be-
ginnt bei einem steuerpflichtigen Vermögenszuwachs
von nicht mehr als 50 000 M. mit einem Steuersätze
— immer für den ganzen Erhebungszeitraum —
von 0,75 v. H. des Zuwachses und endet bei einem
Zuwachs von mehr als 1 Mill. M. mit einem Steuer-
satz von 1,5 v. H. des Zuwachses. Die zweite Skala
beginnt bei einem 100000 M. übersteigenden Gesamt-
vermögen mit einem Zuschlagssatze von 0,1 v. H.
des Zuwachses und endet bei einem Gesamtvermögen
von mehr als 10 Mill. M. mit einem Zuschlagssatze