Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

20.6.2. Das standrechtliche Verfahren in Bayern und die StrPO.

20.6.3. Das Notfristattest im Beschlußverfahren

911

XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 14.

912

Entwurf ist die Todesstrafe als absolute Strafe zunächst gegen
denjenigen festgesetzt, der den Kaiser zu töten versucht
(§ 109). Im übrigen unterscheidet der E. zwischen Totschlag
— der Tötung in einer durch die Umstände gerechtfertigten
heftigen Gemütsbewegung — und Mord — jeder vor-
sätzlichen Tötung, die nicht in solcher Gemütsbewegung
verübt ist. Der Totschlag wird mit Kerker oder Gefängnis
von 1 bis zu 10 Jahren bestraft; wurde die heftige Gemüts-
bewegung durch eine unmittelbar vorausgegangene, dem
Täter oder einer ihm nahestehenden Person zugefügte
schwere unbegründete Kränkung hervorgerufen, so beträgt
die Strafe 6 Monate bis 5 Jahre Gefängnis. Für den
Mord ist im Entwurf die Todesstrafe als absolute Strafe
nur gegen den Sträfling festgesetzt, der einen Mord während
des Vollzuges einer lebenslangen Kerkerstrafe begeht (§287),
offenbar mit Rücksicht darauf, daß dieser sonst straflos
sein würde. Wahlweise neben lebenslangem Kerker ist
die Todesstrafe im § 286 für folgende besonders schwere
Fälle des Mordes angedroht:
1. gegen den, der mit besonderer Grausamkeit, um
eines Vermögens Vorteils willen oder bei Ausführung eines
Diebstahls, Raubes oder eines Verbrechens gegen die Sitt-
lichkeit mordet, 2. der durch die Tat das Leben vieler
Menschen gefährdet, 3. der mehr als einen Menschen mordet,
4. der wegen Mordes s^hon einmal bestraft ist.
Gegen diese Bestimmungen wurde in der Kommission
von mehreren Seiten eingewendet, daß dadurch die Todes-
strafe eigentlich, wenn auch in verhüllter Weise, abgeschafft
sei. Der Gerichtshof werde, wenn er die Wahl zwischen
Todesstrafe und Freiheitsstrafe habe, fast ausnahmslos vor
der Verantwortung zurückscheuen und auf Freiheitsstrafe
erkennen, während doch nach unseren heutigen Zuständen
die Todesstrafe noch nicht völlig entbehrt werden könne.
Es sei daher der Kreis der Fälle, in denen die Todes-
strafe absolut angedroht sei, zu erweitern. Demgegenüber
wurde andererseits die außerordentliche Schwierigkeit be-
tont, die absolut todeswürdigen Fälle von den anderen be-
grifflich abzugrenzen. Durch jede Heraushebung einzelner
Fälle würde man die nicht herausgehobenen als minder
schwere bezeichnen und dadurch die Richter erst recht ver-
leiten, in diesen von der Todesstrafe abzusehen.
Bei der Abstimmung wurde ein Antrag, die beiden
Fälle „wer mit besonderer Grausamkeit mordet“ und „wer
wegen Mordes schon einmal bestraft ist“ aus der wahl-
weise angedrohten Todesstrafe auszuscheiden und unter
die absolute Androhung zu stellen, angenommen. Ein
weiterer Antrag, auch für den Fall des tückischen Mordes
oder wenigstens des Giftmordes die Todesstrafe als ab-
solute Strafe festzusetzen, wurde abgelehnt.
Wirkl. Geh. Rat Dr. Hamm, Bonn.

Das standrechtliche Verfahren in Bayern und
die StrPO. Das Gesetz über den Kriegszustand v. 5. Nov.
1912 (S. 1392, 1912 d. Bl.) ist durch eine Vollzugs Vorschrift
v. 13. März 1913 (JMB1. S. 17ff.) prozeßrechtlich ergänzt.
Sie ist interessant durch die Art, in der sie den Hauptin-
halt der aus Feuerbachs StrGB. v. 1813 beibehaltenen Stand-
rechtsnormen mit dem heutigen Strafverfahren verbindet.
Bez. der Besetzung des „Standrechts“ ist auf die
frühere Mitteilung zu verweisen; die hier erwähnten Bei-
sitzer (Schöffen) nehmen (ein Wink zur Laienfrage
überhaupt?) nur an der Verhandlung, nicht an der Be-
ratung u. Abstimmung teil, dürfen jedoch etwaige Prozeß-
verstöße zu Protokoll rügen. Die Zuständigkeit des Stand-
rechts hängt davon ab, ob eine ihr unterworfene Straftat
nach verkündeter Verhängung des Kriegszustandes in dem
betr. Bezirke verübt worden ist. Das Verfahren ist sum-
marisch, das Gericht in Kognition und Abstimmungsweise
sehr beschränkt. Dies führte dazu, die Bestimmungen der
StrPO. über Richterablehnung, örtlichen Gerichtsstand,
Zeugen usf. teilweise zu vereinfachen. Die Verteidigung
ist in weitem Umfang zugelassen (eine Neuerung!), während
die richterlichen Garantien bez. der Untersuchungshaft,

der Beschlagnahme usw. wegfallen, die Verhaftung über-
dies mehrfach erleichtert ist. Der Staatsanwalt sammelt
die Beweise, er entscheidet über Einstellung, ordentliches
oder Standrechtsverfahren; auf seinen Antrag muß die Haupt-
verhandlung — möglichst nahe — anberaumt werden.
Noch schleuniger und einfacher verfährt man gegen den auf
oder gleich nach der Tat Ergriffenen.
Die Haupt Verhandlung ist öffentlich; im übrigen sind
vom GVG. die §§ 186-188, 191—193, 177ff., von der
StrPO. die §§ 225, 229, 230 S. 1, 237, 240—242, 243
Abs. 1 u. 3, 244, 250, 256—259 zumeist unmittelbar über-
nommen ; die Beweisaufnahme ist unerheblich eingeschränkt,
die Verlesung früherer Beweiserhebungen erleichtert, die
Beweiswürdigung frei. Die Abstimmung beschränkt sich
zunächst auf die sachliche Zuständigkeit und auf die Haupt-
frage; Schuld wie Unschuld können nur mit vier von fünf
Stimmen bejaht werden; kommt es hierzu nicht und ist die
Schuld zweifelhaft, so wird der Fall ins ordentliche Ver-
fahren übergeleitet. Für das Einzelvotum gilt die einem Ver-
dikt ähnliche Formel „schuldig“, „unschuldig“, „zweifelhaft“.
Für den Strafausspruch ist § 198 GVG. maßgebend. Schrift-
liche Begründung des Urteils ist fakultativ, mündliche geboten.
Das Protokoll gleicht im wesentlichen dem einer Strafkammer,
gibt aber das Stimmenverhältnis in der Schuldfrage an.
Rechtsmittel und Wiederaufnahmegesuche sind unzu-
lässig, Gnaden- und Strafaufschubsgesuche ohne aufschiebende
Wirkung; die Strafvollstreckung (sofort!) erfolgt bei
Todesurteilen militärisch, bei anderen durch den Staatsanwalt.
Einige moderne Grundsätze — Anklageprinzip, Münd-
lichkeit, freie Be weis Würdigung — waren in den alten
Standrechtsnormen bereits Enthalten. Dagegen ist mit der
Erweiterung der sachlichen Zuständigkeit die hervor-
stechendste Eigenschaft des alten Standrechts als Gericht
über Leben und Tod stark zurückgetreten. Ein weiterer
Hauptunterschied besteht darin, daß jenes den inneren
Feinden, den Räubern, Mördern, Aufrührern u. dgl. drohte,
das neue Gesetz dagegen einerseits nur für den Kriegs-
zustand gilt, andererseits neben gewissen Kapitalverbrechen
auch einige Vergehen vor das Standrecht zieht. In pro-
zessualer Hinsicht stellt die Neuschöpfung einen bemerkens-
werten Versuch dar, der schleunigen Justiz in Kriegszeiten ein
Organ und ein Verfahren darzubieten, die dem Angeklagten
ein möglichst gerechtes Urteil gewährleisten, zugleich aber
dem Richter die tunlichste Bewegungsfreiheit gestatten.
In ihrer Gesamtheit bildet die Reform ein ehrendes
Denkmal für Feuerbach, dessen in den Standrechts-
artikeln niedergelegte Gedanken sich noch nach hundert
Jahren als lebensfähig erweisen.
Rat am Oberst. Landesgericht Dr. Schierlinger, München.

Das Notfristattest im Beschlußverfahren. lieber
die Auslegung des § 706 ZPO. herrscht in Praxis und
Literatur Streit. Nur darüber herrscht Einigkeit, daß die
Vorschrift auf das Beschlußverfahren entsprechende An-
wendung findet. Hat nun der Gerichtsschreiber erster
Instanz das Rechtskraftattest nur dann auszustellen, wenn
ihm das Notfristattest von der Partei beigebracht wird
(die Frage ist von den Gerichten bejaht worden)1), oder
ist es Sache des Gerichtsschreibers erster Instanz, sich
das Notfristattest selbst zu beschaffen?
Die Entscheidung dieser Frage hängt davon ab, ob
der Gerichtsschreiber zweiter Instanz zur Ausstellung des
Notfristattestes der Partei gegenüber verpflichtet ist (auch
diese Frage ist von den Gerichten bejaht; Streit herrscht
über den Inhalt des Zeugnisses)2).
1) Rechtspr. d. OLG. 1, 145.
2) Rechtspr. d. OLG. 4, 138.

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