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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 14.
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bei ihr die Liquidation durchgeführt werden kann,
wo die Realisierung der Aktiven, die fast ausschließ-
lich in den Forderungen an die Mitglieder aus der
Garantieübernahme entstanden sind, die Gefahr des
Erwerbes der entsprechenden Grundstücke zur Folge
hat, die gewiß nicht verwertbar sind.
Wenn auch nicht entsprechend von gleicher
Tragweite — aber immerhin entbehrt die Frage der
Deckung der Unkosten bei dieser Genossenschaft
nicht des Interesses. Der Genossenschaft stehen als
Einnahmen nur die Provisionen, die die Mitglieder
ihr für die Garantieübernahme zu zahlen haben, zur
Verfügung. Diese werden mithin eine ansehnliche
Höhe erreichen müssen, um den ganzen Geschäfts-
betrieb zu unterhalten, die Reservenbildung zu sichern
und für die Mitglieder noch eine Dividende zu erübrigen.
Eine Umlage der Unkosten auf die Mitglieder
ist nicht zulässig. Dahin hat sich das Reichsgericht1)
ausgesprochen.
Ein besonderes Interesse erfordert bei dieser
Genossenschaft auch die Liquidität. Buchmäßig
erscheinen in der Bilanz die Bürgschaften auf der
Aktiv- und auf der Passivseite. Die Gläubiger ver-
langen von der Genossenschaft eintretendenfalls Zah-
lung der Hypothek. Der Genossenschaft steht als
Sicherheit das Grundstück des Mitgliedes gegenüber
— eine Sicherheit, die in dem Fall, wenn der Gläu-
biger seinen Anspruch geltend macht, nicht realisier-
bar ist. Hat die Genossenschaft nun einen Spar-
kassen-, Depositenverkehr, so liegt die Annahme
sehr nahe, daß diese Gelder entsprechend dem
Zweck der Genossenschaft im Hypothekenkredit-
geschäft Verwendung gefunden haben — also eine
Anlage, die mit den Grundsätzen der Liquidität
nicht vereinbar ist. Es bleiben die Geschäftsgut-
haben der Mitglieder, die im günstigsten Fall keine
Verwendung im Betriebe gefunden, sondern be-
sonders angelegt sind. Welche Bedeutung diese
Anlage hat, ergibt sich aus der Würdigung der Ge-
nossenschaft als Personalgesellschaft. Es liegt nahe,
daß unter den heutigen Verhältnissen die Hypo-
thekengarantie - Genossenschaft in der ersten Zeit
einen starken Zugang an Mitgliedern zu verzeichnen
haben wird. Sobald sich herausstellt, daß die Ge-
nossenschaft nicht alle Erwartungen erfüllen kann,
wird eine für die Genossenschaft wenig vorteilhafte
Mitgliederrückbewegung beginnen.
Die schwierigsten Rechts- und Wirtschafts-
fragen sind somit die Begleiterscheinung der Hypo-
thekengarantie-Genossenschaft.
Mit Rücksicht hierauf hat der Allgemeine Ge-
nossenschaftstag zu München (1912) erklärt, daß die
auf dem Gesetz von 1889 beruhenden Genossen-
schaften nicht geeignet sind, das Immobiliar-Real-
kreditbedürfnis zu befriedigen, und daß es nicht
minder bedenklich sei, wenn Genossenschaften Bürg-
schaften für Kredite übernehmen, die zu gewähren
sie selbst nach ihrer Geschäftslage, nach ihrer Rechts-
und Wirtschaftsnatur außerstande sind.
9 Urt. v. 20. Jan. 1906 (RG. 62 S. 304); vgl. auch meinen Kom-
mentar z. Genossenschaftsges. 7. Aufl. S. 79.
Nur berührt soll endlich noch die Bedürfnis-
frage in dem Sinne werden, welchen Hausbesitzern
denn überhaupt mit der Hypothekengarantie-Ge-
nossenschaft geholfen werden soll. Es wird von
den Vertretern dieser Organisationen versichert, daß
die Genossenschaft die vorsichtigste Taxe zugrunde
legen und nicht über 75% derselben hinausgehen
wird. Würdigt man auch selbst die Schwierig-
keiten, die heute der Beschaffung guter und sicherer
Hypotheken entgegenstehen, so liegt doch die Ver-
mutung nahe, daß diese Hausbesitzer auf die
„Hypothekengarantie" wegen des damit verbundenen
Risikos verzichten werden. Die Genossenschaft
ist natürlich eine solche mit beschränkter Haft-
pflicht; sie muß den Erwerb mehrerer Geschäfts-
anteile zulassen und fordern, daß das Mitglied eine
der Höhe der garantierten Hypothek entsprechende
Anzahl Geschäftsanteile erwirbt. Die Beteiligung
mit mehreren Geschäftsanteilen führt zu einer ent-
sprechenden Erhöhung der Haftsumme. Das Mit-
glied, das durch die Vermittlung der Genossenschaft
eine größere Hypothek erlangen will, muß folglich
ein dementsprechendes Risiko bei der Genossen-
schaft aus der Beteiligung mit Geschäftsguthaben
und Haftsumme übernehmen.
Die Anhänger der Idee der Garantiegenossen-
schaften haben noch nicht versucht, die dieser Ge-
nossenschaft entgegengebrachten Bedenken zu wider-
legen, sondern sind eifrig bemüht, derartige Ge-
nossenschaften in das Leben zu rufen. Die Re-
gierung lehnt es ab, mit Staatsmitteln die Hypo-
thekennot zu beseitigen, sie zeigt sich geneigt, der
Errichtung von städtischen Hypothekenanstalten
keine Schwierigkeiten zu bereiten und läßt er-
kennen, daß der Weg der Selbsthilfe, die Bildung
von Genossenschaften dabei in Betracht gezogen
werden könne, um den Kommunen durch die Ge-
samtheit der Hausbesitzer eine größere Sicher-
heit zu bieten. Die Genossenschaft ist
heute leider das „Mädchen für alles" —
sehr zum Schaden der zukünftigen Entwicklung des
Genossenschaftswesens. Man denkt nur an den
augenblicklichen Nutzen, der sich aus der Haftpflicht
der Mitglieder (als Kreditbasis), dem Mangel an
Grundkapital bei der Gründung, der leichten Grün-
dungsmöglichkeit ergibt, und läßt die Prüfung der
geschäftlichen und kaufmännischen Grundsätze, die
auch für die Genossenschaft gelten müssen, und deren
eigenartige Rechtsnatur ganz außer Betracht — oder
setzt sich kühn über dieselben hinweg.
Vollkommen verschieden von den Bestrebungen
um die Gründung von Garantiegenossenschaften ist
die Erörterung der Frage, ob und wie der Grund-
gedanke der Landschaft für die Befriedigung des
Hypothekenkredits der städtischen Hausbesitzer ver-
wertet werden könnte. Ein Gedanke, der durchaus
nicht neu ist, denn Schulze-Delitzsch hat sich
bereits mit den gesetzlichen Grundlagen für städtische
Landschaften beschäftigt.