19.6.6.
Untergang des Zurückbehaltungsrechts durch Zufall und unerlaubte Handlung?
(LR. Reichhelm)
19.6.7.
Kann von dem Schuldner, der namens des Berechtigten zur Freigabe gepfändeter Fahrnisgegenstände auffordert, Vorlegung einer Vollmacht verlangt werden (§ 174 BGB.)?
(RA. Dr. Moos)
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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 13.
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werker sind nicht nur Leistungen an den Bauherrn, sondern
auch direkte Leistungen an den Finanzier. Wird der Bau
nicht vollendet, so verzögert sich die Umwandlung der
Sicherheit des Finanziers in die endgültige Hypothek. Sein
Finanzgeschäft droht zu mißglücken, seine aus der Sicherheit
erwartete Vergütung für die Finanzierungstätigkeit ist ge-
fährdet. Der Bauhandwerker erwartet vom Finanzier die
Bezahlung der Werkmeisterforderung, wobei es ihm höchst
gleichgültig ist, ob der ursprüngliche Bauherr überhaupt
noch sein Schuldner blieb. Das Kammergericht meint, das
wirtschaftliche Interesse des Finanziers habe keine
rechtliche Bedeutung; denn nur der Bauherr habe die
Leistungen des Bauhandwerkers zu fordern, als der Be-
steller, nur für den Bauherrn und in dessen Grundstück
werde geleistet. Diese Ansicht dürfte der heutigen Lage des
Baumarktes nicht mehr entsprechen. Zur Beseitigung der
Hemmungen eines wirklich soliden und volkswirtschaftlich
nützlichen Baugeschäfts muß von dem Baufinanzier gefordert
werden, daß er für die Bezahlung der Bauhandwerker als
einen bestimmten Erfolg i. S. einer selbständigen Haftungs-
übernahme einsteht. Daß dieses Versprechen formlos wirksam
ist, dürfte bei dem Wesen des Baufinanziergewerbes, wie
es eingangs auseinandergesetzt ist, unbedenklich sein.
Landgerichtsrat Eugen Meyer, Kottbus.
Untergang des Zurückbehaltungsrechts durch
Zufall und unerlaubte Handlung? 1. Geht das Zurück-
behaltungsrecht unter, wenn der vom Schuldner zurück-
behaltene Gegenstand zufällig in den Besitz des Gläubigers
gelangt? Z. B. der mir zugelaufene, von mir gefütterte
Hund läuft wieder seinem Eigentümer zu. Bin ich be-
rechtigt, Rückgabe des Hundes zu verlangen, um mein
Zurückbehaltungsrecht geltend machen zu können? Als
Grundlage eines solchen Rückgabeanspruchs könnte nur
der Bereicherungsanspruch in Frage kommen. Der Eigen-
tümer des Hundes hat zwar durch die Wiedererlangung
des Besitzes »etwas auf meine Kosten erlangt“; es fehlt
aber die weitere Voraussetzung des Mangels des recht-
lichen Grundes: denn wenn auch die den Besitzübergang
vermittelnde Tatsache keinen rechtlichen Grund enthält, so
hat doch jetzt der Eigentümer den Besitz mit Rechtsgrund.
Nicht das frühere Erlangthaben, sondern das jetzige Haben
muß des Rechtsgrundes entbehren, um den Bereicherungs-
anspruch zu rechtfertigen.1) Als Gegenstand des Bereiche-
rungsanspruchs bliebe somit nur die durch Rückerlangung
des Hundes erworbene günstigere Stellung des Eigentümers
übrig. Insofern fehlt es indes an der Voraussetzung,
daß der Gläubiger (Eigentümer) etwas auf Kosten des
Schuldners erlangt habe. Denn wenn auch vielleicht zur
Erfüllung dieser Voraussetzung nicht der Verlust eines
bereits entstandenen Vermögensrechts zu fordern ist (so
RG. 57, 283), so genügt doch jedenfalls nicht der bloße
Verlust einer rechtlichen Möglichkeit für die Geltendmachung
eines unverletzt gebliebenen Rechts. Das Zurückbehaltungs-
recht ist aber nichts weiter als eine solche bloße Form
für die Geltendmachung eines anderweiten Rechts. Ein
Bereicherungsanspruch ist daher nicht gegeben. Dieselben
Erwägungen greifen Platz, wenn der zurückbehaltene Gegen-
stand durch die vom Gläubiger nicht zu vertretende Hand-
lung eines Dritten in den Besitz des Gläubigers gelangt.
2. Anders ist es, wenn der Gläubiger durch unerlaubte
Handlung den zurückbehaltenen Gegenstand erlangt hat.
Ist der Gegenstand eine Sache, z. B. der Gläubiger hat
seinen Hund gewaltsam fortgeholt, so ist der Besitz des
Schuldners, also — nach herrschender Ansicht — ein
»sonstiges Recht“ des Schuldners im Sinne des § 823, ver-
9 Oertmann, Vorbem. 1 b, 2 f, d vor §§ 812ff.
letzt, der Gläubiger ist zur Wiederherstellung des alten
Zustandes verpflichtet. Dieser Schadensersatzanspruch des
Schuldners wird auch einredeweise und im Wege der
Widerklage geltend zu machen sein: klagt der Gläubiger
(Eigentümer) auf Herausgabe des Hundes, macht der
Schuldner sein Zurückbehaltungsrecht geltend, nimmt darauf
der Gläubiger den Hund gewaltsam fort, so ist nicht etwa
der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt; der Schuldner
kann vielmehr widerklagend Herausgabe des Hundes ver-
langen. — Ist der zurückbehaltene Gegenstand eine For-
derung, so ist ein Schadensersatzanspruch unter den Vor-
aussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 826 gegeben.
3. Diese Grundsätze sind häufig anwendbar im Ver-
fahren vor den Berufungsgerichten. Wenn durch das erste
Urteil der Beklagte unter Verneinung eines Zurückbehal-
tungsrechts zur Herausgabe oder zur Zahlung verurteilt
ist und bei vorläufiger Vollstreckbarkeit Herausgabe oder
Zahlung im Wege der Zwangsvollstreckung oder freiwillig
zur Abwendung der Vollstreckung bewirkt ist, das Be-
rufungsgericht aber nunmehr das Zurückbehaltungsrecht
bejahen will, so könnte es zunächst den Anschein haben,
als ob nach den Ausführungen zu 1 das Zurückbehaltungs-
recht durch den tatsächlichen Verlust der zurückgehaltenen
Leistung untergegangen wäre. Hier greift aber die Scha-
densersatzpflicht des § 717 Abs. 2 ZPO. ein, so daß das
Ergebnis zu 2 auch hier eintritt. Das Urteil des Berufungs-
gerichts würde also, um bei dem obigen Beispiel zu bleiben,
dahin ergehen: der Kl. wird verurteilt, dem Bekl. den
Hund herauszugeben. Der Bekl. wird verurteilt, dem Kl.
den Hund (zurück-) herauszugeben Zug um Zug gegen
Zahlung von x M. Natürlich kann der Kl. die Vollstreckung
durch alsbaldige Zahlung abwenden. Entsprechend ist in den
zahlreichen Fällen zu entscheiden, jn denen die 1. Instanz
gegenüber Lohnforderungen ein Zurückbehaltungsrecht ver-
neint hat, die Lohnforderung beigetrieben wird und nunmehr
das Berufungsgericht das Zurückbehaltungsrecht bejaht.
Landrichter Reichhelm, Landsberg.
Kann von dem Schuldner, der namens des
Berechtigten zur Freigabe gepfändeter Fahrnis-
gegenstände auffordert, Vorlegung einer Vollmacht
verlangt werden (§ 174 BGB.)? Schuldner, ein in
Gütertrennung lebender Ehemann, hatte »namens seiner
Ehefrau“ seinen Gläubiger zur Freigabe von Fahrnisgegen-
ständen aufgefordert, die dieser bei ihm hatte pfänden
lassen. Dem Aufforderungsschreiben war — zur Glaub-
haftmachung des Eigentums der Frau — der Ehevertrag
nebst Vermögensverzeichnis, nicht aber auch eine Voll-
macht beigelegt gewesen. Mit Rücksicht hierauf wies der
Gläubiger die Aufforderung zur Freigabe postwendend mit
dem Bemerken zurück, daß er der Vorlegung einer Voll-
macht entgegensehe. Eine solche wurde aber nicht vor-
gelegt, sondern von der Frau Klage gemäß § 771 ZPO.
erhoben. Nach Zustellung dieser Klage gab der Beklagte
frei, verwahrte sich aber gegen die Kosten. Das Amts-
gericht bürdete die Kosten der Klägerin auf. Das LG.
Berlin II änderte ab und verurteilte den Beklagten zur
Kostentragung mit folgender Begründung:
»Es kann dem ersten Richter nicht darin beigestimmt
werden, daß der Beklagte deshalb der Aufforderung nicht
habe nachzukommen brauchen, weil der Ehemann der
Klägerin ohne den Nachweis einer Vollmacht das Ersuchen
stellte. Denn es kann lediglich darauf ankommen, ob
überhaupt dem pfändenden Gläubiger gegenüber eine hin-
reichende Glaubhaftmachung des Anspruchs geschehen ist;
ob dies durch eine mit dem Nachweis einer ausdrück-
lichen Vollmacht versehene Persönlichkeit erfolgt, ist un-
wesentlich. Im übrigen ging ja auch aus dem Inhalt des