19.6.3.
Verstößt der durch das sächsisch-meiningische Ges. betr. die Richtighaltung des Grundbuchs ausgeübte Zwang zur Grundbuchberichtigung gegen die Bestimmung der RGBO?
(JR. Dr. Oberneck)
857
XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 13.
858
hätten 1879 den gleichen Standpunkt eingenommen. Dieser
erklärte, es sei schon zweifelhaft, ob man einem Redner
länger als für eine Sitzung das Wort entziehen könne.
Mehr aber könne der Reichstag ohne Verfassungsänderung
sicherlich nicht tun. Mit besonderem Nachdruck vertrat
den gleichen Standpunkt Frhr. von Heeremann, mit der
Begründung, daß es ein Widerspruch in sich selbst sei,
wenn eine lediglich auf der Wahl durch das Volk beruhende
Repräsentativversammlung ein Mitglied auch nur auf Zeit
ausschließe. Der gesamte Reichstag sei damals derselben
Meinung gewesen. Auch in der Literatur werde dieser
Standpunkt von fast allen hervorragenden Staatsrechts-
lehrern vertreten.
Demgegenüber erklärte das Reichsgericht:
Der behauptete Widerspruch zwischen der Verf. und
§ 64 sei nicht vorhanden. Aus der Entstehungsgeschichte
der einschlägigen Vorschriften der Verfassung folge, daß
die Disziplinargewalt der Kammer die Befugnis zur vor-
übergehenden Ausschließung umfasse. Wenn auch
zwischen einer Ausschließung auf kurze und einer solchen
auf längere Zeit kein begrifflicher Unterschied bestehe,
so falle dych die Verhinderung eines Abgeordneten an der
Ausübung des Rechtes auf Sitz und Stimme praktisch un-
gleich schwerer ins Gewicht, wenn sie längere Zeit andaure
und dadurch die Wirkung einer Bestrafung annehme, als
wenn sie von kurzer Dauer und damit ihre Natur als
vorübergehende Maßregel zur Wiederherstellung der
Ordnung gekennzeichnet sei. Aus dem Begriffe der Aus-
schließung folge, daß während ihrer Dauer die Rechte
ruhen müssen, die nur ein Teilnehmer an der Versammlung
ausüben könne. Habe die Verfassung die vorübergehende
Ausschließung gestattet, so müsse sie auch die damit
notwendig verbundene Beschränkung des von der Aus-
schließung Betroffenen in der Ausübung des Rechtes auf
Sitz und Stimme in der Versammlung gewollt haben.
Verfassungsmäßig beschränkt sei die Aus-
schließung durch ihre vorübergehende Natur
und durch ihre Abhängigkeit von einer Ver-
letzung der Ordnung des Hauses, Ueber diese
Schranken griffe § 64 nicht hinaus. Da das Verfahren
des Präsidenten nicht rechtswidrig gewesen sei, und es sich
um ein der Landesgesetzgebung freigelassenes Gebiet,
nämlich das preußische Staatsrecht, handele, liege auch in
der Ausschließung des Abgeordneten kein Verstoß gegen
die §§ 105, 106 StrGB. — Die Strafbarkeit des Verhaltens
der Angeklagten werde durch § 11 StrGB. nicht ausgeschlossen.
Dieser befreie den Abgeordneten nur von der Verantwort-
lichkeit für die in Ausübung seines Berufs getanen
Aeußerungen. Nach der tatsächlichen Feststellung hätten
die Angeklagten aber nicht nur gegen das Einschreiten der
Polizei protestieren, sondern die Wiederherstellung der
Ordnung durch die Tat vereiteln wollen.
Das Wesentliche an diesem Urteil ist, daß es die von
der Geschäftsordnung des preußischen Abgeordnetenhauses
und des Reichstags vorgesehene zeitweilige Entfernung eines
Abgeordneten für zulässig erachtet, sofern zwei Schranken
beachtet sind. Einmal darf die Maßregel nur eintreten bei
einer Verletzung der Ordnung des Hauses, und sodann
darf die Ausschließung nur von vorübergehender Dauer
sein, sie darf also niemals den Charakter der Bestrafung
annehmen, sondern nur der Wiederherstellung der Ordnung
dienen, eine disziplinäre Wirkung üben. Das österreichische
Reichsgericht ist weiter gegangen. Es hat unter dem
Vorsitz Ungers angenommen, daß, wenn ein Gesetz dem
Abgeordneten Sitz und Stimme gibt, der Abgeordnete zur
dauernden Anwesenheit bei den Sitzungen des Parlaments
berechtigt ist, solange eine Abänderung der gesetzlichen
Bestimmung durch ein Gesetz nicht erfolgt ist.
Rechtsanwalt Dr. Hugo Heinemann, Berlin.
Verstößt der durch das sächsisch-meiningische
Gesetz betr. die Richtighaltung des Grundbuchs
ausgeübte Zwang zur Grundbuchberichtigung gegen
die Bestimmung der RGBO*? In Sachsen-Meiningen
sowie in anderen thüringischen Staaten war bis zum 1. Jan.
1900 die sog. Zwangtitelberichtigung zulässig. Auch das
frühere preuß. Recht hat im § 55 Pr. GBO. v. 5. Mai 1872
vorgesehen, daß in allen Fällen, in welchen der Erwerb
des Eigentums an Grundstücken eine Auflassungserklärung
nicht voraussetzt, der Eigentümer zur Eintragung seines
Eigentums gezwungen werden konnte, wenn eine zuständige
Behörde dieselbe erforderte oder wenn ein dinglich oder
zu einer Eintragung Berechtigter dieselbe beantragte.
Nach jetzigem Recht ist reichsrechtlich ein solcher
Zwang ausgeschlossen, denn § 14 GBO. deckt sich nicht
mit § 55 der Pr. GBO., vielmehr ist auch in jener Be-
stimmung der RGBO. das im § 13 daselbst aufgestellte
Eintragungsprinzip, wonach eine Eintragung im Grundbuch
nur auf Antrag erfolgen darf, streng durchgeführt.
Mangels des früheren Zwanges besteht der Uebelstand,
daß im Falle der Eigentumsänderung infolge Erbganges
oder Aenderung des güterrechtlichen Verhältnisses das
Grundbuch unrichtig wird und unrichtig bleiben kann. Da
die Richtigstellung des Grundbuchs reichsrechtlich nicht
mehr erzwungen werden kann, sind in einigen thüringischen
Staaten zur Abhilfe dieses Uebelstandes Zwangsmaßregeln
im Wege der Landesgesetzgebnng eingeführt worden, so
z. B. in Sachsen-Altenburg und Sachsen-Meiningen. Das
in Sachsen-Meiningen erlassene Gesetz v. 26. Jan. 19121)
betr. die Richtighaltung des Grundbuchs bestimmt u. a.,
daß die Gemeindevorstände verpflichtet sind, das Ab-
leben der mit Grundbesitz angesessenen Personen ihres
Bezirkes alsbald dem zuständigen Amtsgericht (Grund-
buchamt) anzuzeigen. Entsprechend sind die Eigentums-
veränderungen im Grundbesitze zur Anzeige zu bringen,
die sich durch den Eintritt der allgemeinen Gütergemein-
schaft ergeben. Ist die Berichtigung innerhalb einer be-
stimmten Zeit dann nicht seitens der Beteiligten herbei-
geführt worden, so kann die Amtseinnahme, in deren
Bezirk die Grundstücke liegen, die Beteiligten zwangsweise
anhalten, die Berichtigung des Grundbuches zu beantragen
und entgegenstehende Hindernisse zu beseitigen.
Es ist nun in Zweifel gezogen worden, ob dieser
landesgesetzlich eingeführte Zwang nicht im Widerspruch
steht mit den Bestimmungen der RGBO., wonach das Grund-
buchamt nur auf Antrag Eintragungen vornehmen darf.
Diese Zweifel sind unbegründet, weil das Grundbuch-
verfahren nach den Bestimmungen der RGBO. durch die
oben dargelegten Bestimmungen des sächsisch-meiningischen
Gesetzes v. 26. Jan. 1912 unmittelbar gar nicht berührt
wird. Denn der Zwang, der gegen die Beteiligten ausgeübt
wird, erfolgt nicht durch das Grundbuchamt, sondern durch eine
Verwaltungsbehörde und, wie im Art. 2 des gedachten Ge-
setzes besonders hervorgehoben ist, im öffentlichen Interesse.
Dem Grundbuchamt gegenüber wird das Antragsprinzip
gewahrt, denn durch die Androhung, Festsetzung und Ein-
ziehung von Zwangsstrafen bewirkt die Verwaltungsbehörde
nur, daß die Beteiligten beim Grundbuchamt den Antrag
auf Berichtigung stellen und das dazu erforderliche Urkunden-
material dem Grundbuchamt einreichen. Durch welche
Gründe aber die Beteiligten zu dem beim Grundbuchamt
zu stellenden Antrag veranlaßt worden sind, ist für das
Grundbuchverfahren selbst unerheblich. Der Grundsatz des
§ 13 GBO., daß eine Eintragung nur auf Antrag erfolgen
darf, und antragsberechtigt der ist, dessen Recht von der
Eintragung betroffen wird oder zu dessen Gunsten die Ein-
tragung erfolgen soll (vergl. auch § 22 GBO.), ist bei diesem
Verfahren durchaus gewahrt. Anders läge die Sache, wenn
das Grundbuchamt selbst die Beteiligten zwingen wollte, die
Berichtigung herbeizuführen, oder wenn das Grundbuchamt
l) Sammlung der landesherrlichen Verordnungen Nr. 56.