Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

18.6.4. Der Schadensersatzanspruch des mittelbar Geschädigten

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XVIII. Jahrg. Deutsche Juristen-Zeitung. 1913 Nr. 12.

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Der Gläubiger hatte wegen eines Anspruchs von
3500 M. die Pfändung und Ueberweisung eines dem
Schuldner angeblich gegen den Landesfiskus einer Kolonie
zustehenden Anspruchs auf Zahlung einer laufenden jähr-
lichen Unterstützung von 6500 M. aus dem Kaiserlichen
Dispositionsfonds beantragt. Das AG. hatte den Antrag
abgelehnt. Auf Beschwerde des Gläubigers ist die an-
gebliche Forderung des Schuldners in voller Höhe, soweit
z. Z. des Antrages des Gläubigers der Kaiser über den
Fonds zugunsten des Schuldners verfügt habe, durch das
LG. für pfandbar erklärt und die weitere Anordnung dem
AG. übertragen worden. Dieses hat darauf einen Pfändungs-
und Ueberweisungsbeschluß erlassen. Hiergegen richtete
sich die sofortige weitere Beschwerde des Schuldners, mit
der beantragt ist, unter Aufhebung des Beschl. des LG.
die Gnadenpension für unpfändbar zu erklären.
Die Beschwerde ist an sich zulässig, sie ist auch
begründet.
Die dem Beschwerdeführer gnadenweise zugebilligte
Zuwendung unterliegt ungeachtet des öffentlichrechtlichen
Charakters des dem Kaiser durch Etatsgesetz erteilten
Dispositionsrechts über die Reichsmittel, aus denen die
Auszahlung erfolgt, den Vorschriften des BGB. über die
Schenkung. §§ 516 ff.1) Dies ergibt der Begriff der Gnade
als einer Liberalität, auf die der Bedachte einen Anspruch
nicht besitzt und der der Charakter der Unentgeltlichkeit
begriffsgemäß anhaftet. Weiter muß — entgegen der
Meinung des LG. — angenommen werden, daß es nicht die
Absicht des Kaisers sein konnte, durch den Gnadenerweis
einen Rechtsanspruch des Beschwerdeführers zu begründen,
sondern daß es auch in Zukunft in dem freien Willen des
Kaisers liegen sollte, die Zuwendung zu gewähren oder
nicht, was ja auch in der nur von Jahr zu Jahr durch das
Etatsgesetz erfolgenden Bewilligung des Dispositionsfonds
seinen Ausdruck findet. Aber selbst bei Unterstellung
jener Absicht kann die Entstehung eines Anspruchs nicht
angenommen werden, weil es an der für die Begründung
eines solchen gemäß § 518 BGB. erforderlichen Be-
urkundung des Schenkungsversprechens mangelt. Dieser
Mangel der Form kann nach Abs. 2 § 518 nur durch die
Bewirkung der versprochenen Leistung geheilt werden,
die gemäß § 516 BGB. erst in der tatsächlichen Hingabe
des Vermögensgegenstandes und deren Annahme durch
den anderen Teil besteht. Hieran kann der Umstand
nichts ändern, daß die Hingabe aus Reichsmitteln erfolgt
und sie eine Minderung des persönlichen Vermögens des
Kaisers nicht verursacht. Denn die Zuwendung geschieht
nicht persönlich seitens des Kaisers, sondern in seiner
Eigenschaft als Reichsorgan unter Gegenzeichnung des
Reichskanzlers, der nach Art. 72 RV. über die Verwendung
aller Reichseinnahmen, also auch des Dispositionsfonds,
dem gesetzgebenden Organ Rechnung zu legen hat.2 3 *)
Hieraus ergibt sich, daß auch die Auszahlung der Zu-
wendung nicht auf Grund eines Anweisungsvertrages
zwischen dem Kaiser und der auszahlenden Behörde oder
dem Bedachten geschieht, sondern sich infolge einer dienst-
lichen Anweisung verwirklicht, die sich als ein innerer Vor-
gang des staatlichen Organismus dar stellt, der private Rechte
gegenüber Dritten nicht berühren und nicht begründen
kann. Aus dem Erörterten folgt, daß ein klagbarer An-
Spruch des Beschwerdeführers dem Reiche gegenüber nicht
besteht und daß eine derartige Zuwendung, soweit sie
noch nicht in das Vermögen des Bedachten übergegangen
ist, der Pfändung nicht unterliegt.8) Auch § 850 Nr. 3
ZPO., dessen Anwendung stets eine klagbare Forderung
voraussetzt, greift zweifellos nicht Platz. Soweit aber ein
Betrag in das Vermögen des Schuldners gelangt, also
äusgezahlt ist, ist nicht die Forderungspfändung gegeben.
Gerichtsassessor von Loeben, Bonn.
Diesem Beschluß des OLG. Köln ist zuzustimmen.
Der Gegensatz öffentlichrechtlicher und privatrechtlicher
0 Vgl. Lab and, Oefientlicbes Recht der Gegenwart, Bd. 1,
Deutsches Reichs-Staatsrecht 1907, S. 407.
2) Lab and S. 408.
3) Verf. des FinMin. v. 10. Nov. 1831 in Müllers Justizverwal-
tung 1909 S. 440.

Rechtsgeschäfte wird durch ihn klar beleuchtet. Zu-
wendungen aus dem Dispositionsfonds und Schenkungen
haben zwar das miteinander gemein, daß beide Liberalitäts-
akte sind; aber der Dispositionsfonds dient im Gegensatz
zu privatrechtlichen Schenkungen staatlichen Zwecken.
Die Gnade des Monarchen soll Härten ausgleichen, welche
durch die strikte Anwendung eines Gesetzes oder durch
Verwaltungsakte für eine bestimmte Person entstehen, und
hierzu bietet der Dispositionsfonds die Mittel. Auf
Gnadenakte gibt es aber keinen Rechtsanspruch, und die
Hoffnung oder Aussicht auf einen Gnadenakt kann nicht
wie ein Vermögensrecht gepfändet werden.
Zweifelhaft kann es aber sein, ob nicht durch den
Befehl des Kaisers, eine Summe aus dem Dispositions-
fonds an eine bestimmte Person auszuzahlen, für die letztere
ein Anspruch vermögensrechtlicher Natur entsteht und ob
der Anspruch auf die bereits bewilligte, aber noch nicht
ausgezahlte Summe gepfändet werden kann. Aber auch
dies ist wohl zu verneinen. Denn nach der Zweckbestim-
mung des Dispositionsfonds und dem Wesen des Gnaden-
aktes ist das durch die Bewilligung begründete Recht auf
Auszahlung einer bestimmten Summe als ein höchst per-
sönliches anzusehen, welches nicht abgetreten und folglich
auch nicht gepfändet werden kann.
Lab and.
Der Schadensersatzanspruch des mittelbar
Geschädigten. Der erste Entwurf zum BGB. enthielt
in § 704 die Bestimmung, daß bei unerlaubter Handlung
der Schädiger dem Verletzten ersatzpflichtig sei für jeden
durch die Handlung verursachten und voraussehbaren
Schaden. Demgegenüber hat § 823 I BGB. die Schadens-
ersatzpflicht an die Verletzung bestimmter Rechtsgüter
und Rechte geknüpft. Hieraus hat man gefolgert, daß das
BGB. bis auf die Ausnahmen in §§ 844 und 845 den
Schadensersatzanspruch des mittelbar Geschädigten be-
seitigt habe. M. E. mit Unrecht, wenn man beide Be-
stimmungen unbefangen vergleicht. Der Unterschied liegt
nur in der Art der verletzten Rechtsgüter. Nach dem
Entwurf fiel unter die unerlaubte Handlung auch die Ver-
mögensbeschädigung. Das BGB. schützt das Vermögen
dagegen grundsätzlich nur nach Maßgabe des § 826.
Demgegenüber ist die Unterscheidung des unmittelbar
und mittelbar Geschädigten irreführend. Zunächst versagt
das Gesetz den Ersatz des mittelbaren Schadens an sich
keineswegs (RG. Bd. 57 S. 355). Es besteht aber auch
kein Grund, die sich aus der unerlaubten Handlung er-
gebende Verantwortlichkeit auf den Rechtskreis des un-
mittelbar Geschädigten zu beschränken. Die Folge
wäre sonst, daß der Nachbar eines durch fahrlässige Brand-
stiftung geschädigten Eigentümers keinen Ersatz des durch
Löscharbeiten an seinem Hause verursachten Schadens
verlangen könnte. Niemand wird dieses Ergebnis für
richtig halten, und doch ist der Nachbar hier mittelbar
geschädigt. Indessen — und dies ist das Entscheidende —
er ist, wenn auch mittelbar, in seinem Eigentum verletzt
worden. Die herrschende Meinung wird dem entgegen-
halten, daß der Nachbar durch die Brandstiftung unmittelbar
mit verletzt sei. Warum dann aber in anderen Fällen, wo
der Verletzte einen mittelbaren Vermögens Verlust er-
leidet, z. B. die Brandversicherungsgesellschaft, von nur
mittelbar Geschädigten sprechen? Die Stellung des
Geschädigten in bezug auf die Handlung ist in diesem
und jenem Falle völlig gleich, nur das verletzte Rechtsgut
ist verschieden. Hinsichtlich der Stellung eines Verletzten
als unmittelbar oder mittelbar Geschädigten gibt es kein
anderes Merkmal, als seinen Standort in der Kausalreihe.
Insbesondere hilft es nichts, den Schuldbegriff für diesen

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