Full text: Deutsche Juristen-Zeitung (Jg. 18 (1913))

18.6.2. Das Jugendgericht Berlin-Mitte im Jahre 1912

18.6.3. Zuwendungen aus dem Kaiserlichen Dispositionsfonds unterliegen nicht der Zwangsvollstreckung im Wege der Forderungspfändung

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XVIII. Jahtg. Deutsche J u r i s t e n - Z e 11 u n g. 1913 Nr.' 12. 798

gehörigen Bestimmungen sind diejenigen der folgenden
Artikel: .
457. „Die nächsten Erben eines Erblassers sind seine
Nachkommen.M Usw. (Inhaltlich genau entsprechend dem
§ 1924 BGB.)
458. „Hinterläßt der Erblasser keine Nachkommen,
so gelangt die Erbschaft an den Stamm der Eltern.“ Usw.
(Inhaltlich dem § 1925 BGB. entsprechend.)
459. „Hinterläßt der Erblasser weder Nachkommen
noch Erben des elterlichen Stammes, so gelangt die Erbschaft
an den Stamm der Großeltern.“ Usw. (Auch dieser Artikel
entspricht seinem vollen Inhalte nach dem § 1926 BGB.)
460. „Mit dem Stamme der Großeltern hört die Erb-
berechtigung der Blutsverwandten auf.“
„Urgroßeltern haben jedoch auf Lebenszeit die Nutz-
nießung an dem Anteil, der den von ihnen abstammenden
Nachkommen zugefallen wäre, wenn diese den Erbfall er-
lebt hätten.“
„An Stelle vorverstorbener Urgroßeltern erhalten auf
Lebenszeit diese Nutznießung die von ihnen abstammenden
Geschwister der Großeltern des Erblassers.“
462. Dieser Artikel enthält ganz ähnliche Bestim-
mungen über das Erbrecht des überlebenden Ehegatten
des Erblassers wie § 1931 BGB., namentlich auch diejenige,
daß er, wenn keine Erben des großelterlichen Stammes
vorhanden sind, die ganze Erbschaft zu Eigentum erhält.
466. „Hinterläßt der Erblasser keine erbberechtigten
Personen, so fallt die Erbschaft unter Vorbehalt der Nutz-
nießungsrechte der Urgroßeltern und der Geschwister der
Großeltern an den Kanton“ (also an den Staat, entsprechend
§ 1936 BGB.).
Zugunsten dieser Bestimmungen, insbesondere auch
derjenigen der Art. 459 und 460, spricht nach dem Urteil
des Verfassers dieser Zeilen nicht bloß die Billigkeit,
sondern auch die Rücksicht auf den Familienzusammenhang,
wie er auch nach den gegenwärtigen Anschauungen noch
im lebendigen Volksbewußtsein besteht. Wenn der Gesetz-
entwurf über das Erbrecht des Staates nicht allein jederlei
Erbberechtigung der Urgroßeltern gegenüber dem Urenkel,
sondern sogar schon das gesetzliche Erbrecht des Oheims
gegenüber dem Neffen und eines Vetters gegenüber dem
anderen beseitigen will: so ließe sich eine so weit gehende
Beschränkung doch nur dann rechtfertigen, wenn nach dem
gegenwärtigen Volksempfinden zwischen den genannten
Personen keine durch die Verwandtschaft begründete nähere
Beziehung mit praktischen Wirkungen mehr erkennbar
wäre; das läßt sich aber nach den Erfahrungen des Lebens
gewiß nicht behaupten. Wir könnten daher schwerlich
etwas Besseres tun, als die Bestimmungen des Schweize-
rischen Zivilgesetzbuches inhaltlich in unser BGB. herüber-
zunehmen. Auch würde dadurch der gar zu schroffe Bruch
mit der bisherigen Erbrechtsordnung des BGB. vermieden,
der sich aus dem genannten Entwurf ergeben würde.
Geh. Justizrat, Professor Dr. Fitting, Halle.

Das Jugendgericht Berlin-Mitte im Jahre 1912.1)
Das Jugendgericht Berlin-Mitte urteilte im Jahre 1912
1501 Personen ab, darunter 27 Personen mehrmals.2) Von
den Abgeurteilten waren 1162 männlichen und 339 weib-
lichen Geschlechts. Von den Abgeuiteilten standen zur
Zeit des Urteils im Alter:
v. 12—14 Jahren: v. 14—16 Jahren: v. 16—18 Jahren:
Knaben: 115 Knaben: 279 Knaben: 768
Mädchen: 19 Mädchen: 87 Mädchen: 233
Von den Angeklagten waren 1366 ehelicher, 127
außerehelicher Geburt; bei 8 ist eine Feststellung nach
dieser Richtung nicht getroffen. Von den ehelichen Kindern
waren 269 halb verwaist, 27 ganz verwaist, in 96 Fällen
lebten die Eltern getrennt, in 946 Fällen führten die Eltern
' i) Vgl. 1909 S. 361; 1910 S 525; 1911 S. 627; 1912 S. 609 d. Bl.
2) Die mit richterlichen Stratbefehlen Bedachten sind mitgezählt.

einen gemeinsamen Haushalt, in 28 Fällen ist eine Fest-
stellung nach dieser Richtung hin nicht getroffen.
Von den Verurteilten waren vorbestraft 147 Per-
sonen einmal, 36 Personen zweimal, 16 Personen dreimal
und öfters. Es findet von Jahr zu Jahr eine Abnahme
der Vorbestraften, gegen welche Anklage erhoben wird,
statt; ein sicheres Zeichen der erfolgreichen Tätigkeit des
Jugendgerichts. Die Verteilung der Angeklagten auf die
verschiedenen Delikte hat imBerichtsjähr ungefähr in derselben
Weise stattgefanden wie in den vorhergehenden Jahren.
Von den Angeklagten sind 190 Personen freigesprochen,
darunter 43 wegen mangelnder Einsicht: 753 sind mit
einem Verweise bestraft, 240 mit einer Geldstrafe, 343 mit
einer Freiheitsstrafe. *) In 7 Fällen ist das Verfahren durch
Urteil eingestellt. Der Dauer nach verteilen sich die
Freiheitsstrafen in folgender Weise:
1—7 Tage: über 1 Woche bis 1 Monat: über 1—3 Monate
121 138 61
über 3—6 Monate: mehr:
19 4
Es ist aber in 261 Fällen Strafaussetzung mit Aussicht
auf bedingte Begnadigung gewährt.
Von den verurteilten Personen sind 649 unter Schutz-
aufsicht gestellt, bei 322 ist das Fürsorgeerziehungsverfahren
eingeleitet oder es schwebte schon.
Von den im Jahre 1909 abgeurteilten Personen ist bei
422 die Führung 3 Jahre lang kontrolliert, bei 236 2 Jahre
lang und bei 141 ein Jahr lang. Es führten sich während
der ganzen Kontrollzeit gut 571; anfangs schlecht, dann
aber besser 77 Personen, während die Führung der übrigen
als mangelhaft oder schlecht bezeichnet werden mußte.
Von den im Jahre 1910 abgeurteilten Personen sind 572
zwei Jahre lang kontrolliert, 182 ein Jahr lang. Ihre
Führung während der Kontrollfrist war dauernd gut in
578 Fällen, zunächst schlecht, dann aber besser in 67 Fällen;
die Führung der übrigen war mangelhaft oder schlecht.
Von den im Jahre 1911 abgeurteilten Personen ist die
Führung in 582 Fällen ein Jahr lang kontrolliert. 481 Per-
sonen führten sich dauernd gut, 43 zuerst schlecht dann
besser, die übrigen mangelhaft.
Ein Vergleich dieser Ziffern mit den Ziffern früherer
Jahre zeigt ein dauerndes Herabgehen jugendlicher Krimi-
nalität, soweit es sich um den Amtsbereich des Amts-
gerichts Berlin-Mitte handelt. Im Berichtsjahr ist dies
Herabgehen besonders stark und auffällig. Zum Teil
freilich hat das einen äußeren Grund. Die Staatsanwalt-
schaft beobachtet bei der Anklageerhebung gegenwärtig
eine Vorsicht, die im Interesse der strafrechtlichen Re-
pression nicht ganz unbedenklich erscheint. Infolgedessen
ist die Zahl der Freisprechungen von 378 im Vorjahre
auf 190 im Berichtsjahre zurückgegangen. Aber diese
Differenz ist lange nicht so groß als die Differenz der An-
klageerhebungen in beiden Jahren. Es erscheint unzweifel-
haft, daß das Jugendgericht Berlin-Mitte die Erwartungen
gerechtfertigt hat, die zu seiner Einrichtung führten. In
hohem Grade wünschenswert ist es, daß das deutsche
Jugendgerichtsgesetz, welches jetzt im Reichstage beraten
wird, zustande kommt und für die gesetzliche Festlegung
und Verallgemeinerung derjenigen fürsorgerischen Maß-
nahmen Sorge trägt, mit denen in Berlin Erfolge erzielt sind.
Amtsgerichtsrat Dr. Köhne, Berlin.

Zuwendungen aus dem Kaiserlichen Dispo-
sitionsfonds unterliegen nicht der Zwangsvoll-
streckung im Wege der Forderungspfändung.
Ueber diese interessante Frage hat das OLG. Köln, 4.Ziv.-S.»
am 24. Jan. 1913 nachstehenden Beschluß gefaßt:
*) Die mehrmals Angeklagten sind hier mehrmals gezählt.

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